Der Raben Speise
nie mehr auf.«
Das Erste, was ich sah, war das breite, bartumrandete Gesicht eines mir unbekannten Mannes. Das Erste, was ich fühlte, war eine riesige Beule auf meinem Hinterkopf. Vielleicht war sie mit Schuld an meiner intelligenten Frage. »Wer bist du und wo bin ich hier?«
»Ich heiße Alexander ten Brink und bin Landsknecht wie du. Ursprünglich war ich im protestantischen Lager, aber dann habe ich davon gehört, dass uns die Anabaptisten mit purem Gold und pünktlich bezahlen würden. Also bin ich hierher und habe mich sogar taufen lassen. Doch dann musste ich feststellen, dass die Bezahlung viel schlechter ist als die des Bischofs. Sie wollen nämlich eigenes Geld prägen, das sonst nirgendwo etwas wert sein wird. Und sie wollen unser freies Leben reglementieren. Selbst das Trinken wollen sie einschränken, diese eifernden Spatzenhirne. Da wollt ich ins Lager zurück. Aber das wollten die nicht, die quatschten sofort von Abtrünnigkeit und Verrat am einzig wahren Glauben, weil ich doch wiedergetauft bin. Und obendrein bin ich in ihren Augen ein Spion, wie wir alle hier. – Und morgen wollen sie uns erschießen.«
Er sagte das so gleichgültig, als wäre er in seinem bisherigen Söldnerleben mindestens einmal die Woche erschossen worden. Während seiner Rede hatte ich mich umgesehen und erkennen müssen, dass ich mich zusammen mit acht anderen Männern in einem verliesähnlichen Raum befand, in den nur spärliches Licht durch zwei hoch oben in der Mauer befindliche, winzige Fensteröffnungen fallen konnte. Der raue Steinboden war mit matschigem, schimmelndem Stroh bedeckt und ein von Scheiße überlaufender Kübel in der Ecke verpestete die Luft. Die Männer um mich herum machten den Eindruck, als würden sie dies alles gar nicht mehr wahrnehmen.
Nur einer von ihnen, ein mickriges Kerlchen mit dem ängstlich-zänkischen Blick eines in die Falle geratenen Marders, das mir aus einer anderen Umgebung geläufig schien, schob sich in unsere Nähe und lamentierte: »Ich bin kein Spion, das wisst ihr alle ganz genau. Ich bin nur kurz in die Stadt zurückgekommen, um noch etwas aus unserem Haus zu retten. Ich bin kein Verräter, nur weil ich ein Schreiber des Bischofs bin, ich will nichts als mein Eigentum.«
Die anderen, die die Geschichte wohl ein ums andere Mal gehört hatten, beachteten ihn nicht. Für mich war die Erwähnung des Bischofs Anlass genug, den Mann näher zu betrachten. Sein gekrümmter Rücken und seine immer noch tintenfleckigen Finger belegten, dass er die Wahrheit sagte. Ich erinnerte mich daran, ihn in der Kanzlei gesehen zu haben. Im selben Moment musste er auch mich erkannt haben, denn er zog die Augenbrauen hoch und öffnete weit den Mund, ehe es aus ihm herausbrach. »Jetzt erkenne ich dich. Du stehst im Dienst des Bischofs, aber anders als ich.
Du
bist ein Spion, du, nicht ich!«
Er wackelte mit dem Kopf hin und her, als müsse er seine Gedanken erst in die richtige Reihenfolge schütteln. Dann wieselte er plötzlich zur mächtigen Holztür und brüllte durch ein vergittertes Loch, bevor ich reagieren und ihm das Maul stopfen konnte: »Schnell, Wache, holt mich hier raus und bringt mich zu Euren Anführer! Ich habe ihm etwas Wichtiges mitzuteilen.« Und während sich unter Schlüsselgeklirr Schritte auf der anderen Seite der Tür näherten, feixte er zu mir herüber, wobei er mehrmals in die Hände klatschte und kleine Luftsprünge vollführte: »Das ist der Beweis, das ist der Beweis. Jetzt werden sie mich frei geben und ich werde auch mein Eigentum zurückerhalten.«
Ich überlegte noch, ob ich ihn trotz allem mit einem schnellen Satz erreichen und seinen Schädel an der Mauer zerschmettern sollte. Doch da wurde die Tür bereits geöffnet und zwei Männer zogen den feigen Wurm mit einem solchen Ruck heraus, dass er zu fliegen schien. Man hörte sein fröhliches Gelächter noch eine Weile im Gang nachhallen.
Hätte ich mich vorher der Hoffnung hingeben können, mit einer guten Geschichte meinen Hals zu retten, war sie nun endgültig dahin. Dieser verfluchte Scheißer würde seine neuen Freunde über meine Profession aufklären und damit war die für morgen vorgesehene Hinrichtungszeremonie um einen weiteren Hauptdarsteller bereichert. Diese Erkenntnis traf mich mit solcher Wucht, dass ich mich auf das Stroh fallen ließ ohne Rücksicht darauf, dass es in einem Kuhstall reinlicher gewesen wäre. Mit einem Male fing es auch in meiner Beule wieder an zu pochen und der Kerker taumelte
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