Der Raben Speise
einen Zentner ausmacht, sowieso nur langsam vorankommen kann. Dazu schärft er Conrad ein, nicht nachts zu reisen, sondern jeweils sicheren Unterschlupf zu suchen. Dafür bietet sich als letzte Station vor Wolbeck der Hof von Südmersen an. Dort wird er sich auf irgendeine Weise des Geldes bemächtigen. Wullenwebers Bande ist allemal stark genug, einen kleinen Treck niederzumachen. Er kann es sogar alleine schaffen, indem er Conrad dort erwartet, ihn mit einer phantasievollen Geschichte zum Weiterreiten in Begleitung des fürstbischöflichen Ratgebers ermuntert, und ihn unterwegs ermordet.
Dann kommt die Nachricht von Conrads Tod in Crange, Hillink und ich werden losgeschickt und der falsche Hund muss umdisponieren. Jetzt hat er es mit erfahrenen Kämpfern zu tun. Er legt den Hinterhalt und wartet selber abseits im Bauernhaus auf die Vollzugsmeldung. Was dort mit ihm passiert, ist noch nicht eindeutig einzuordnen, hat aber vermutlich mit Wullenwebers Verrat nicht direkt zu tun.
Diese überaus klugen Erwägungen behielt ich natürlich für mich, da ich mit der Proklamation von Wullenwerbers Verrat nicht noch Öl ins Feuer gießen wollte. Franz war mittlerweile gottlob auch so weit, dass die Erschöpfung die Wut verdrängte, und ich hatte endlich Gelegenheit, den in dieser Situation wohl besten Vorschlag zu machen, nämlich nach Ossenstert zu schicken, um mit ihm und seiner Sachkunde die Untersuchung in Crange fortzusetzen.
Ich hatte den Eindruck, dass Franz heilfroh war, die unerquickliche Debatte, die überwiegend aus seinem Monolog bestand, beenden und sich dem Trank des Vergessens ergeben zu können. Seine Antwort bestand aus »Dann hol ihn Dir!« und einem Winken zur Tür hin, mit dem er gleichzeitig sein Einverständnis mit meiner Vorgehensweise als auch den Schluss der Audienz erklärte. Ich beeilte mich auf den Flur zu kommen und weg von meinem Gebieter, ehe er den zweiten Wind bekam und seine Laune wieder umschlug.
»Naaa, jammerst du nach Bernhard Ossenstert, deinem heiß geliebten Freund?«
Die Stimme, die mich das fragte, stammte von einem Molch, der durch eine unerfindliche Fügung des Geschicks außerhalb seines Tümpels leben konnte und zu einem zweibeinigen Wesen geworden war. So, wie dieser Schleimbeutel seine Worte wählte und betonte, könnte man meinen, Ossenstert und ich wären in einem sodomitischen Verhältnis verbunden. Entsprechend freundschaftlich waren meine Gefühle für den Sprecher.
»Pankratius, du mieser Lauscher, du an den Strand geschwemmte, verfaulte Muschel, was geht dich diese Sache an?«
Das bleichgesichtige, spitznasige Skelett mit den trockenen Lippen und den tiefen, an braunschwarze Murmeln erinnernden Augen trat in seiner dunklen Robe aus dem Schatten einer Säule zu mir auf den Absatz zwischen den Treppen. Ich hatte den Sekretär des Bischofs schon seit unserer ersten Begegnung nicht leiden können. Das hatte sich aber im Laufe der Zeit grundlegend geändert; denn mittlerweile hasste ich ihn. Er war ganz der Typ, dem man sofort wünschte, von einer Giftnatter gebissen zu werden, doch wenn man ihn länger kannte, wusste man genau, wie das ausgehen musste: Das arme Reptil würde an einer Blutvergiftung verenden.
»Oh, nichts, nichts, rein gar nichts geht mich das an.« Dabei machte er eine wedelnde Handbewegung wie eine gelangweilte Vettel, die eine lästige Fliege von ihrem süßen Kuchen fernhalten will. »Ich mache mir nur Sorgen um dein Wohlergehen, schließlich bist du doch für unseren Herrn
der
unverzichtbare Mann.«
Ich wusste sehr wohl, dass er insgeheim von der Richtigkeit seiner Feststellung überzeugt war. Und genau das war der Stachel, der bei ihm so tief saß. Genau das wäre nämlich die Rolle gewesen, die er so gerne gespielt hätte und die er als die große Nummer seines Lebens ansah. Genau deshalb ging mir dieser dünnblütige Neidhammel vom ersten Moment an quer den Hals herunter.
Weil ich nicht antwortete, nahm er von selbst den Faden wieder auf. »Ja weißt du denn gar nicht, dass dein herzallerliebster Freund noch in Münster weilt? Der Gute konnte sich einfach nicht von seinen famosen Tinkturen und Salben trennen, in die er so viel Zeit und Herzblut gesteckt hatte. Solche Herrlichkeiten überlässt man doch nicht einfach dieser Teufelsbrut von Anabaptisten! Und so blieb der Beschützer seiner Sammlung zweckmäßigerweise in Münster und überließ sich selbst gleich mit. – Viel Spaß bei dem Versuch, ihn herauszuholen! Vielleicht hast du ja
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