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Der Raben Speise

Der Raben Speise

Titel: Der Raben Speise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F.G. Klimmek
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vor meinen Augen. War es Mattigkeit, war es der Schrecken, war es der nicht verdaute Hieb auf meinen Kopf? Ich weiß es nicht. Jedenfalls versank ich in eine Dunkelheit, die der Ohnmacht näher war als dem Schlaf.
    Geweckt wurde ich durch erneutes Schlüsselgeklirre und das enervierende Quietschen der Verliestür in ihren rostigen Angeln. Durch die schmale Öffnung wurde ohne ein Wort ein Packen hereingeworfen, den ich zunächst für ein Bündel Lumpen hielt. Erst die erstaunten Ausrufe meiner Mitgefangenen, die das rasche Zudröhnen der Tür begleiteten, veranlassten mich, ihm größere Aufmerksamkeit zu schenken. Das, was da so verdreht auf dem Boden lag und mit aufgerissenen Augen ins Nichts starrte, war der ehemals fürstbischöfliche Schreiber. Man hatte ihm das Genick gebrochen.
    Etwa eine Stunde später stellte die Wache mit dem Bemerken, das sei die rechte Henkersmahlzeit für eine Bande von Spionen und Abtrünnigen, einen Eimer mit Wasser und einen Korb mit zwei Laiben Brot herein, die ich unberührt ließ.
    Den Rest der Nacht verbrachte ich in einem Schwebezustand aus schmerzdurchsetztem Dämmern, der keine Erholung brachte und mich im Morgengrauen erschöpfter sein ließ als tags zuvor.
    Gegen Mittag kamen die Wachen und holten uns ab.

    Es war ein kalter Tag, obwohl die Sonne hoch am Himmel stand. Vor lauter Blinzeln traten mir Tränen in die Augen, die einige Zeit brauchten, bis sie sich wieder an das Tageslicht gewöhnt hatten. Als ich einigermaßen klar sehen konnte, war der Kerker schon aus meinem Blickfeld verschwunden und ich wurde zusammen mit den anderen Gefangenen die Straßen hinunter durch dichtgedrängte Menschenmassen gestoßen, bis wir schließlich auf dem Domplatz ankamen. Man hatte ihn in Erwartung des Osterfestes mit Fahnen und bunten Bändern geschmückt, die in die Bäume gehängt worden waren, und auch eine niedrige Empore errichtet, auf der mehrere Männer saßen. In ihrer Mitte, auf einem etwas höheren Stuhl, thronte ein Mann mittleren Alters, dessen wirrer Blick ständig über die Menge wanderte.
    »Jan Mathijs, der Verrückte«, wie Alexander mir zuraunte.
    Die Wachen hinter uns drückten uns die Schäfte ihrer Hellebarden ins Kreuz und schoben uns vor unsere Richter, von denen ich sicher war, dass das Urteil bei ihnen längst feststand.
    Ich weiß nicht, meine Freunde, was Euch andere Erzähler berichtet haben über die Momente, die dem eigenen Tod so nahe vorangehen. Mir hat mal jemand weismachen wollen, das ganze vergangene Leben laufe in Sekundenschnelle noch einmal vor einem ab. Ein anderer hat mir berichtet, man würde von einem kaum bezähmbaren Zorn erfüllt und der Körper nie gekannte Kräfte freisetzen. Ich kann Euch nur gestehen, wie es in diesem Augenblick bei mir war, und da war – nichts. Ich war unfähig zu denken oder zu handeln und stand da, als wäre ich von oben bis unten mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Was gesprochen wurde, wehte an mir vorbei wie Wind an den Zinnen einer Burg.
    Ich war erst wieder ich selbst, als ein vierschrötiger Kerl in farbenfroher Tracht einen meiner Schicksalsgenossen aus unserer Mitte holte und ein paar Meter weiter an einen dicken Baum band, wobei er dessen Kopf durch einen eisernen Reifen steckte, der dort von einem Ast herabhing. Etwa zehn Schritte davon entfernt hatten andere Landsknechte eine Hakenbüchse so in Stellung gebracht, dass sie auf diesen ehernen Ring zielte. Während sich einer dieser verlogenen Prädikanten in die Nähe des Delinquenten gesellte und leise auf ihn einsprach, geriet die sensationslüsterne Meute allmählich in Verzückung und machte ihrer Erregung mit lauten Jubelschreien wie »Heilig, heilig ist der Herr!« und »Gott wird sein auserwähltes Volk nicht vergessen!« oder »Der Herr segne das neue Israel!« Luft. Die scheinheiligen, verblödeten Scheißer vergaßen dabei nicht, ihre Frömmigkeit dadurch zu bestärken, dass sie die Weinbecher ausgiebig kreisen ließen.
    Als die Menge genug getobt hatte, gab der große Verführer ein Zeichen, auf das sofort Ruhe einkehrte. Einige Augenblicke später wurde die Arkebuse abgefeuert. Der Schütze war ein geübter Söldner und verfehlte natürlich aus dieser kurzen Distanz sein Ziel nicht. Der Schädel des Opfers zerplatzte so vehement, dass es mich unwillkürlich an die Demonstration erinnerte, die mir Sir Desmond mit dem Kürbis geboten hatte. Knochensplitter, Hautfetzen und Gehirnmasse spritzen herum, dass der unvorsichtige Prädikant damit

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