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Der Raben Speise

Der Raben Speise

Titel: Der Raben Speise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F.G. Klimmek
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gepeinigten Gesichtsausdruck, dass hier ein besessener Mensch von unbekannten Mächten heimgesucht wurde. Deshalb sprangen nun die üblichen Großtuer und Possenreißer hinzu, die eine sensationslüsterne Meute überall auf dieser Welt hervorbringt, und zerrten so lange an meinen Kleider, bis ich endlich splitternackt auf der Erde lag. Dass ich dabei von Jung und Alt angeglotzt wurde wie ein Kalb mit zwei Köpfen, störte mich allerdings sehr viel weniger als der Umstand, dass sich nun in der frischen Luft das Jucken aller meiner Glieder derartig steigerte, dass es mich zu einem wahren Veitstanz hinriss. Es trieb mich auf die Beine, stach mich zu eckigen Hopsern und warf mich wieder zu Boden, bis es wieder von vorne begann. Es war entwürdigend, schmerzhaft, unerträglich – und rettete mir das Leben.
    Denn plötzlich stand eine Gestalt neben mir, die beide Arme zum Himmel reckte und mit volltönender Stimme rief: »Sehet, sehet, der Herr hat uns ein Zeichen gegeben! Der Geist des wahren Glaubens ist in diesen Verdammten gefahren, um ihn von seinen Sünden zu erlösen. Denkt an unsere Brüder und Schwestern in Amsterdam, die genauso erleuchtet wurden. Unser neuer Bruder wird die Taufe empfangen und ein Teil des neuen Volkes Israel werden.«
    Wie es weiterging, ist mir nur noch schemenhaft in Erinnerung. Unfähig zu gehen, legte man mich auf einen Karren, der von zwei Männern gezogen und einer Horde Weiber umringt wurde, darunter auch die beständig grinsende Vettel, die mir dieses Teufelszeug in die Hose gesteckt hatte. Man warf ein paar Decken über mich, die mir die Sicht nahmen, und als man mich immer noch Zappelnden darunter hervorholte, waren wir am Hause Ossensterts angelangt. Schnell ging es hinein und in ein Fass mit warmem Wasser, das dort bereits auf mich wartete. Beim Eintauchen überflutete mich eine neue Schmerzwelle, die aber schnell wieder abebbte, und nachdem mir jemand einen Becher mit gewürztem Wein in die Hand gedrückt und mich dann allein gelassen hatte, fühlte ich mich bald entschieden besser. Die leicht verfärbte Brühe in meinem Zuber musste einige Beigaben enthalten, die ein probates Gegenmittel zu diesem höllischen Juckpulver darstellten und ihre Wirkung nicht verfehlten.

    Nach einigen Minuten war die Reizung verschwunden und ich mit dem Wein im Bauch und dem wärmenden Nass um mich herum so weit entspannt, dass ich vor lauter Wohlbefinden fast ins Wasser geschissen hätte, als sich die Tür öffnete und der Mann eintrat, der mich mit seiner visionären Rede, bei der er mir nur schattenhaft erschienen war, vor dem Sterben gerettet hatte. Es war Bernhard Rothmann, ein Prädikant von großer Beredsamkeit und starker persönlicher Präsenz, der als Kaplan des Mauritzstifts schon früher durch seine Neuerungsideen auf sich aufmerksam gemacht hatte, als Franz noch gar nicht im Amt war. Er war der Mann, der ganz entscheidend in Münster den Boden für das Täufertum aufbereitet hatte und damit ein bevorzugter Feind des Bischofs.
    Während er sich selbst einen Schemel heranzog, musterte er mich aus spöttisch zusammengekniffenen Augen. »Nun, Sonderbeauftragter seiner fürstbischöflichen Exzellenz, ist der Heilige Geist wieder aus dir hinausgefahren und hat das Jucken nachgelassen?« Mein erstauntes Gesicht nötigte ihm ein Lächeln und eine Erklärung ab. »Ich habe mir gedacht, dass ich dich am besten aus deiner misslichen Lage befreien kann, wenn ich dich zu einem Gegenstück der Amsterdamer Nacktläufer mache – und es hat ja offensichtlich auch geklappt. Da ich auf eine plötzliche göttliche Erleuchtung deinerseits verständlicherweise nicht vertrauen konnte, musste Hilla ein wenig nachhelfen mit einem Pulver, das dein Freund Ossenstert zur Verfügung gestellt hat. – Nun, sein Gegenmittel ist anscheinend genauso wirksam.«
    Er wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Die alte Hilla trat breit grinsend herein und legte ein Bündel Kleidung sowie ein Trockentuch auf den Tisch. Nachdem sie mir etwas von meinem Badewasser ins Gesicht geschnipst und mit schelmischem Blick ihr »Na, mein schöner Prinz, ist alles wieder beieinander?« losgeworden war, ließ sie uns wieder allein und Rothmann konnte fortfahren.
    »Du fragst dich bestimmt, warum du Bischofsknecht hier so munter im Wasser planschst und nicht längst tot bist, nicht wahr? Ich will es dir verraten: Weil ich dich brauche. – Mir ist schon lange klar, dass der Bischof auf dieses Genie der Heilkunst und Forschung nicht

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