Der Raben Speise
Charakter verbilden konnte. Sollte ich in dieser Hinsicht jemals zu leichtsinnig oder blauäugig denken, bräuchte ich mir immer nur mich selbst vor Augen zu führen, um in Windeseile in die Realität zurückzufinden. Deshalb hatte ich, schon zu meiner eigenen Rückversicherung dem Bischof gegenüber, alles unter die Aufsicht von Dirk Hillink gestellt, dem sich Ossenstert aus reiner Kameradschaft angeschlossen hatte.
Ich zog es derweil vor, mich mit unserem überaus gut gelaunten Gastgeber, an dem im Hinblick auf Conrads Tod nun nicht der Schatten eines Verdachts der Unredlichkeit hängen bleiben würde, in einem Disput darüber zu ergehen, ob zu Geflügel immer ein trockener Weißer oder nicht auch bisweilen ein leichter Roter zu reichen sei. Das war mir weitaus lieber, als von meiner Trotteligkeit zu berichten, nachts in eisigem Wasser herumzuplanschen, statt vorher nachzudenken. Deshalb ersparte ich mir die Offenbarung meiner heimlichen Blamage und brachte in unsere Unterhaltung lieber eine dritte Sorte Wein ein, einen Rosé, den ich einst am Hofe in Würzburg genossen hatte. Und, welches Glück, auch diese Variante fand sich in den Vorräten des Hauses. Um unser Gedächtnis an vergangene Genüsse nicht überzustrapazieren, ließen wir uns klugerweise gleich die entsprechenden Sorten – und einige mehr – aus dem Keller bringen.
Dergestalt in beste Stimmung versetzt, konnte mich nicht einmal die Nachricht von Hillink persönlich erschüttern, beim Durchzählen des Goldes sei man nur auf 12.006 Gulden gekommen, sechs davon hatte man in seichter Ufernähe entdeckt. Dieses erklärte sich meines Erachtens leicht durch den Umstand, dass zehn Fetzen Stoff gefunden worden waren, die selbstverständlich nichts mehr enthielten. Die in Eile geschnürten Beutel hatten sich im Wasser gelöst, das schwere Gold war herausgefallen und im Schlamm des Teichgrundes versunken. Zwar erbot sich der Graf sogleich, einen besonders guten Schwimmer aus dem Dorf holen und nach dem restlichen Gold tauchen zu lassen, doch lehnte ich dies im Namen des Bischofs dankend ab. Bei einer solchen Kälte und den vermutlich äußerst schlechten Sichtverhältnissen – dass ich weiter beharrlich verschwieg, auch insoweit aus dem reichen Schatz eigener Erfahrung schöpfen zu können, versteht sich von selbst – würde ein Herumwühlen im Ungewissen das Metall nur noch tiefer in Schlamm und Finsternis sinken lassen. Besser, man wartete auf günstiges Wetter und ließe einstweilen den Teich unter Aufsicht stellen.
Dies schien allen Anwesenden ein weiser Vorschlag zu sein, und nachdem sich meine übrigen Ideen ja auch auf wunderbare Weise als richtig erwiesen hatten, verging der Tag wie im Fluge damit, dass ich wieder von allen ob meiner erstaunlichen Klugheit gebührend gefeiert und beglückwünscht wurde.
Und als sich endlich der Himmel verdunkelte, stand mir nur noch der Sinn danach, mir in intimstem Rahmen auch ein Lob von dem Menschen abzuholen, dessen Meinung ich vor allen anderen am meisten schätzte, nämlich von mir selbst. Deshalb bat ich den Herrn von Crange um einen Krug seines besten Weines und einen Becher seines französischen Branntweins und fand mich, schon ein wenig unsicher auf den Beinen, mit diesen beiden zuverlässigsten Begleitern meiner stillen Stunden in meiner Kammer ein.
Zuerst ließ ich den kühlen Rebensaft über meine Zunge gleiten, während die Abenteuer der letzten Tage an meinem geistigen Auge vorüberzogen. Jetzt erst fiel die innere Anspannung endgültig von mir ab und große Zufriedenheit stellte sich ein. Doch als ich diesen, zugegebenermaßen nicht zu voluminösen Krug geleert hatte und schon zu der flüssigen Köstlichkeit aus der Armagne übergewechselt war, bekam die Fassade meines Rundumwohlbefindens die ersten Risse. Diese verästelten und verstärkten sich, je mehr in meinem Kopf sich einzelne Szenen verfestigten, die in den verborgenen Winkeln meines Gehirns von mir mit unbewusstem Gleichmut so lange zurückgedrängt worden waren, bis sie nun in der Leichtigkeit eines mittleren Rausches nicht länger gebändigt werden konnten.
Ich war nicht der Mann, der sich einen Fall leichterhand mit zweifelhaften Argumenten passend machte, um sich endlich anderen Dingen zuwenden zu können. Mag man über meine Person und meinen Charakter durchaus geteilter Meinung sein, so wird mir niemand absprechen können, den Dingen mit aller Macht auf den Grund gehen zu wollen, war ich erst einmal mit einer Sache befasst.
So
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