Der Raben Speise
Er trug den Namen Everdt und machte auf mich mit seinen kurzsichtigen Augen, der feingliedrigen Figur in einem sauberen Wams, dem weißen Hemd und den geputzten Stiefelletten eher den Eindruck eines Bücherwurms und Schöngeistes als eines Kerls, der statt eines Federkiels lieber eine Knute gebraucht. Aber ich hatte mir längst abgewöhnt, meine Mitmenschen nach ihrem Erscheinungsbild zu beurteilen; zu viele Unschuldige würden sonst im Turm schmachten und zu viele Gauner ein herrliches Leben führen.
Nach mehrfachen Verbeugungen trat er endlich näher und setzte uns davon in Kenntnis, dass sich das Gold nach Jazirs Aussage in der Emscher etwa zweihundert Schritte flussauf von der Mühle befinden sollte, dort, wo eine Vierergruppe von Weiden stand.
Mir war natürlich klar, dass ich nicht umhin kommen würde, dieses auf der Folter herausgepresste Geständnis auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Dass das Gold im Wasser liegen musste, hatte ich mir schon selbst überlegt, denn sonst hätte Raschid nicht die Hunde erwähnt. Also ließ ich es mir nicht nehmen, mich an Ort und Stelle davon zu überzeugen.
Zum Glück ist die Emscher an dieser Stelle ziemlich flach, sodass es nicht nötig war, in das bitterkalte Wasser hinabzusteigen. Es sollte vollauf genügen, die Beute mit Stangen an Land zu ziehen. Doch so sehr die beiden Bediensteten aus der Burg unter meiner Anleitung auch stocherten und den Grund aufwühlten, nichts ließ sich ans Ufer ziehen. Es brauchte noch zwanzig Minuten und die vielfache Menge an Flüchen, bis wir uns eingestehen mussten, dass hier nichts zu fischen war. Missmutig, enttäuscht und wütend fanden wir uns sodann wieder in der Halle ein.
Dem Herrn von Crange, dem ebenso wenig wie mir der Sinn nach Blutorgien stand, war sichtlich hin und her gerissen zwischen dem Bestreben, dem Fürstbischof gefällig zu sein, und der damit verbundenen Notwendigkeit, die Marter des Muselmanen fortsetzen zu lassen. Allein, es gab keinen anderen Ausweg aus diesem Dilemma und so musste Everdt erneut seine Talente beweisen.
Wir waren bei unserem zweiten Glas angelangt, als sich auf dem Gang ein Geschrei und Gepolter erhob und ein über und über mit Blut verschmierter Everdt hereinstolperte, um sich unter noch mehr Bücklingen als vorhin immerfort für etwas zu entschuldigen, das wir nur mit einiger Mühe seinem sprunghaften Gerede entnehmen konnten. Am Ende wussten wir so viel, dass Jazir, als Everdt damit beschäftigt war, den sechsten Keil in den Spanischen Stiefel einzuschlagen, sich die Zunge abgebissen hatte, bevor dies jemand verhindern konnte. Zwar konnte der sofort herbeigeeilt Ossenstert ein Verbluten verhindern, dem Gemarterten jedoch nicht die Stimme wiedergeben.
Der Morgenländer würde auf Wochen damit beschäftigt sein, mit dem Tode zu ringen. Ihn zu transportieren war aus geschlossen. Er würde uns nicht einmal an die Stelle führen können, an der das Gold verborgen war.
Weil obendrein niemand wusste, ob und in welcher Sprache der nunmehr Stumme schreiben konnte, es ferner keinen gangbaren Weg gab, dies zutreffend herauszufinden, war auch diese Quelle versiegt – und das Gold des Bischofs blieb verschwunden.
Flüssiges Eis
Das Wasser war wie ein unendlicher Block aus nachgiebigem Eis, und als es mir bis zum Bauch reichte, war es mir, als würde der Gevatter Tod persönlich mit seiner knochigen Klaue den Lebenssaft aus meinen Lungen pressen. Der bleiche Bauch eines Karpfens, den verwesenden Innereien eines Gehenkten ähnlicher als einem Lebewesen, streifte meine Füße, und aus einem kurz auftauchenden Schwarm von Rotfedern wollte mich das zerfließende Gesicht des fetten Franz auslachen. Dennoch senkte ich mich, Handbreit für Handbreit, mit vibrierenden, zusammengeschweißten Lippen und einem Körper, den ich einer gerupften Gans entliehen haben könnte, in das frostige Nass, bis das Haupthaar meinen gleichzeitig zu versteinern und zu schrumpfen scheinenden Schädel wie die Ranken der Wasserpest umspielte. Schlingpflanzen griffen nach meinen Beinen und hier und da berührte kerfiges Getier meine Haut, von dessen Existenz ich bislang keine Ahnung hatte.
Als ich es wagte, meine Augen zu öffnen, traf es mich wie ein Schlag. So musste sich Wullenweber gefühlt haben, als der Rosenkranz der Schmerzen angezogen wurde. Ich sah nichts außer dem unregelmäßigen Wechsel von schwarz und tiefgrau. Mir war bewusst, dass ich in diesem eisigen Element nicht weniger als mein Leben riskierte.
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