Der Raecher
lang, bevor man diesen Waffentyp wieder einzog. Jemand hatte festgestellt, dass ihr Einsatz wahrscheinlich einen Verstoß gegen die Genfer Konvention darstellte. Die vierundsiebzig noch auffindbaren Revolver von Smith & Wesson wurden in die Staaten zurückgeschickt und verschwanden auf Nimmerwiedersehen.
Die Tunnelratten hatten ein kurzes und einfaches Gebet:
»Wenn mich eine Kugel erwischen soll, na gut. Wenn ich einen Messerstich abkriegen soll, Pech gehabt. Aber bitte, lieber Gott, lass nicht zu, dass ich da unten lebendig begraben werde.«
Im Sommer 1970 wurde der Dachs lebendig begraben.
Die beiden GIs hätten nicht dort unten sein oder die in Guam gestarteten B-52-Bomber nicht aus zehntausend Metern Höhe Bomben abwerfen dürfen. Irgendjemand hatte die Bomber angefordert, aber vergessen, den Tunnelratten Bescheid zu geben.
So etwas kommt vor. Nicht sehr oft, aber niemand, der beim Militär war, wird bestreiten, dass gelegentlich Mist gebaut wird, der eigene Leute das Leben kostet.
Man verfolgte eine neue Strategie, die darauf abzielte, die Tunnelanlagen durch massive Bombardements aus der Luft zum Einsturz zu bringen. Diese Strategie hatte teilweise auch psychologische Gründe.
Zu Hause in den Staaten hatte sich die Stimmung gewandelt, und die Mehrheit war gegen den Krieg in Vietnam. Mittlerweile begleiteten Eltern ihre Kinder zu den Antikriegsdemonstrationen.
Im Kriegsgebiet selbst hatte man die dreißig Monate zuvor stattgefundene Tet-Offensive noch nicht vergessen. Die Moral sank auf den Nullpunkt. Noch blieb es im Oberkommando unausgesprochen, doch allmählich machte sich die Überzeugung breit, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen sei. Noch drei weitere Jahre sollte es dauern, ehe der letzte GI in das letzte Flugzeug Richtung Heimat stieg, doch im Sommer 1970 beschloss man, das Tunnelsystem in den »Feuer-frei-Zonen« mit Bomben zu zerstören. Das Eiserne Dreieck fiel in eine solche Zone.
Da die 25. Infanteriedivision dort stationiert war, hatten die Bomber die Order, im Umkreis von drei Kilometern um die nächste US-Einheit keine Bomben abzuwerfen. Doch an jenem Tag vergaß das Oberkommando den Dachs und den Maulwurf, die einer anderen Division angehörten.
Sie krochen zwei Etagen tief durch eine Anlage bei Ben Suc,
als sie mehr spürten als hörten, wie über ihnen die erste Bombe einschlug. Dann eine zweite, während die Erde um sie herum bebte. Sie vergaßen den Vietcong und krochen in Panik zurück zu dem Schacht, der in die Etage darüber führte.
Der Maulwurf schaffte es und war nur noch zehn Meter vom rettenden Schacht entfernt, der ins Freie führte, als hinter ihm die Decke einstürzte. »Dachs!«, brüllte er, aber erhielt keine Antwort. Er wusste, dass sich zwanzig Meter weiter eine Stelle befand, wo der Gang sich verbreiterte, denn sie waren beim Abstieg an ihr vorbeigekommen. Schweißgebadet robbte er zu der Nische, drehte sich um und kroch zurück.
Er stieß mit den Fingern an den Dreckhaufen. Er spürte eine Hand, dann eine zweite, sonst nichts, nur herabgefallene Erde. Er begann zu graben, warf die Erde hinter sich, verstopfte damit aber den Gang.
Er brauchte fünf Minuten, um den Kopf seines Partners freizulegen, fünf weitere für seinen Oberkörper. Das Bombardement hatte inzwischen aufgehört, doch herabfallende Trümmer verstopften oben die Luftlöcher. Der Sauerstoff wurde knapp.
»Sieh zu, dass du hier rauskommst«, zischte der Dachs im Dunkeln. »Hol Verstärkung. Ich werd schon durchhalten.«
Dexter wühlte weiter mit den Händen in der Erde. Er würde über eine Stunde brauchen, um Hilfe zu holen, und der Dachs nach der Hälfte der Zeit erstickt sein. Er knipste seine Taschenlampe an und drückte sie seinem Partner in die Hand.
»Halte sie. Richte sie nach hinten über deine Schulter.«
Im gelben Lichtschein konnte er den Erdhaufen sehen, der die Beine das Dachses bedeckte. Er brauchte eine weitere halbe Stunde, ihn abzutragen. Dann robbte er zurück, quetschte sich an der Erde vorbei, die er beim Graben hinter sich geworfen hatte. Seine Lungen pumpten, alles um ihn drehte sich. Sein Partner war halb ohnmächtig. Dann kroch er um die letzte Ecke und spürte den Luftstrom.
Im Januar 1971 endete die zweite Dienstzeit des Dachses.
Eine Verlängerung auf drei Jahre war verboten, aber er hatte ohnehin genug. Am Abend bevor er in die Staaten zurückkehrte, holte der Maulwurf die Erlaubnis ein, seinen Partner nach Saigon zu begleiten, damit er sich von ihm verabschieden
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