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Der Raecher

Titel: Der Raecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Stillschweigen vergattert. Keiner erwähnte die Tunnelratten mit einem Wort. Einmal wurde eine Besichtigung der Anlage organisiert, doch der »Gast« von der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit bekam, nachdem er fünf Meter tief in einen »sicheren« Schacht eingestiegen war, einen hysterischen Anfall. Danach herrschte Ruhe.
    Wie für alle anderen GIs in Vietnam gab es auch für die Ratten längere Kampfpausen. Die einen verschliefen diese Stunden oder schrieben Briefe, träumten vom Ende ihrer Dienstzeit und der Heimkehr. Andere verkürzten sich die Zeit mit Trinken, spielten Karten oder würfelten. Viele rauchten, und nicht immer nur Marlboros. Einige wurden süchtig, andere lasen.
    Zu Letzteren gehörte Cal Dexter. Bei den Gesprächen mit seinem Offizierspartner hatte er begriffen, wie kümmerlich seine Schulbildung war, und fing noch einmal bei null an. Geschichte faszinierte ihn besonders. Der Bibliothekar des Stützpunkts war hocherfreut und beeindruckt. Er erstellte eine lange Liste von Büchern, die man gelesen haben musste, und beschaffte sie aus Saigon.
    Dexter ackerte sich durch das antike Griechenland und das Alte Rom, erfuhr von Alexander dem Großen, der geweint hatte, als er mit einunddreißig die damals bekannte Welt besiegt hatte und es keine weitere mehr gab, die er erobern konnte.
    Er erfuhr vom Aufstieg und Niedergang Roms, vom finsteren
Mittelalter in Europa, der Renaissance und der Aufklärung, dem Zeitalter der Eleganz und dem der Vernunft. Besonders faszinierten ihn die Gründungsjahre der amerikanischen Kolonien, die Revolution und die Frage, wie sein Land nur neunzig Jahre vor seiner Geburt zum Schauplatz eines blutigen Bürgerkriegs hatte werden können.
    Wenn der Monsun oder Befehle ihn für längere Zeit an den Stützpunkt fesselten, tat er noch etwas anderes. Mithilfe des älteren Vietnamesen, der ihre »Hütte« ausfegte und putzte, lernte er so lange dessen Sprache, bis er sie verstand und sich auch selbst verständlich machen konnte.
    Neun Monate nach Beginn seines ersten Vietnamjahrs geschahen zwei Dinge. Er wurde zum ersten Mal verwundet, und der Dachs beendete seine zwölfmonatige Dienstzeit.
    Die Kugel stammte aus dem Gewehr eines Vietcong, der in einem Tunnel lauerte, als Dexter in den Einstiegschacht kletterte. Um einen solchen Gegner zu verwirren, hatte er eine Methode entwickelt. Er warf eine Granate in den Schacht, dann kletterte er schnell hinunter. Sprengte die Granate den Schachtboden nicht weg, war keine Fallgrube darunter verborgen. Falls doch, konnte er noch rechtzeitig einhalten, ehe die Speere ihn aufspießten.
    Zudem sollte die Granate jeden etwaigen Vietcong zerfetzen, der unsichtbar dort unten wartete. Bei dieser Gelegenheit war der Vietcong da, doch er kauerte tief im Innern des Gangs, mit einer Kalaschnikow AK 47 bewaffnet. Er überlebte die Explosion, wurde aber verletzt und feuerte einen Schuss auf die schnell herunterkommende Tunnelratte ab. Dexter warf sich flach auf den Boden und erwiderte das Feuer mit drei Schüssen aus seiner Pistole. Der Vietcong ging zu Boden und kroch weg, wurde später aber tot aufgefunden. Dexter hatte es am linken Oberarm erwischt, eine Fleischwunde, die gut verheilte, ihn aber einen Monat lang von Ausflügen in die Unterwelt abhielt. Der Dachs hatte ein ernsteres Problem.

    Soldaten werden es bestätigen, Polizisten werden es bestätigen: Es geht nichts über einen Partner, auf den unbedingter Verlass ist. Seit Beginn ihrer Zusammenarbeit wollten der Dachs und der Maulwurf eigentlich nicht mehr mit anderen in die Tunnel einsteigen. Dexter hatte miterlebt, wie innerhalb von neun Monaten vier Ratten dort unten gestorben waren. In einem Fall war der Überlebende schreiend und heulend wieder nach oben gekommen. Der Mann würde nie wieder in einen Tunnel steigen, auch nicht nach wochenlanger psychiatrischer Behandlung.
    Doch die Leiche des anderen, der es nicht mehr geschafft hatte, lag noch unten. Der Dachs und der Maulwurf seilten sich ab, fanden und bargen den Toten, damit er in die Heimat überführt und ein christliches Begräbnis erhalten konnte. Man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten. Sein Sarg blieb zu.
    Von den ursprünglich dreizehn Mann hatten vier weitere nach Ablauf ihrer Vietnamjahrs aufgehört. Diesen acht Abgängen standen sechs Neuzugänge gegenüber, sodass die Einheit jetzt aus elf Mann bestand.
    »Ich möchte mit keinem anderen da runtergehen«, sagte Dexter zu seinem Partner, als der ihn im Lazarett

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