Der Raecher
sich am nächsten Tag auf die ebenfalls anstrengende Fahrt gen Norden in die kroatische Hauptstadt Zagreb. Er fand John Slack im Lagerhaus von Feed the Children, doch er war ihm keine große Hilfe.
»Ich habe keine Ahnung, was passiert oder wo er hingefahren ist und warum«, beteuerte er. »Hören Sie, das Programm von Loaves’n’ Fishes ist letzten Monat eingestellt worden, und er hat dazugehört. Er ist mit einem meiner beiden nagelneuen Landcruiser verschwunden, also mit meinem halben Fahrzeugpark. Außerdem hat er einen meiner drei bosnischen Helfer mitgenommen. In Charleston war man nicht gerade begeistert. Jetzt, wo der Friede in Sicht ist, wollten die nicht von vorn anfangen. Ich habe ihnen gesagt, dass es hier noch eine Menge zu tun gibt, trotzdem haben sie mir den Laden dichtgemacht. Ich kann von Glück sagen, dass ich hier einen Job gefunden habe.«
»Und was ist mit dem Bosnier?«
»Fadil? Der hat bestimmt nichts damit zu tun. Ein netter Bursche. Hat oft um seine verschollenen Angehörigen getrauert. Wenn er jemanden gehasst hat, dann die Serben, nicht die Amerikaner.«
»Irgendeine Spur von dem Geldgürtel?«
»Also das war wirklich eine Dummheit. Ich hab ihn gewarnt. So viel Geld kann man doch nicht mit sich herumschleppen, und zurücklassen geht auch nicht. Aber ich glaube nicht, dass Fadil ihn deswegen umgebracht hätte.«
»Wo waren Sie eigentlich, John?«
»Das ist es ja gerade. Wenn ich da gewesen wäre, wäre das
Ganze nicht passiert. Ich hätte ihnen verboten, irgendwohin zu fahren. Ich war auf einer Bergstraße in Südkroatien und habe einen Lastwagen mit schwerem Motorschaden in die nächste Stadt abschleppen lassen. Dieser Blödmann von Schwede. Können Sie sich vorstellen, dass jemand einen Lastwagen fährt und nicht merkt, dass der Motor kein Öl mehr hat?«
»Was haben Sie herausgefunden?
»Als ich wieder hier war? Na ja, er ist raus zum Gelände, hat aufgesperrt, sich einen Landcruiser geschnappt und ist weggefahren. Ibrahim, einer von den anderen Bosniern, hat die beiden gesehen, aber sie haben nicht miteinander gesprochen. Das war vier Tage vor meiner Rückkehr. Ich habe versucht, ihn über sein Handy zu erreichen, aber er ist nicht rangegangen. Ich war stocksauer. Ich dachte, die gönnen sich ein paar schöne Tage. Anfangs war ich nur wütend, aber dann hab ich mir Sorgen gemacht.«
»Haben Sie eine Ahnung, wo sie hingefahren sind?«
»Eben nicht. Ibrahim sagt, sie sind nach Norden. Also direkt ins Zentrum von Travnik. Von dort führen Straßen in alle Richtungen. Niemand in der Stadt erinnert sich an was.«
»Haben Sie eine Theorie, John?«
»Schon. Ich schätze, er hat einen Anruf gekriegt, oder Fadil, was mir plausibler erscheint, und der hat dann mit Ricky gesprochen. Er war ein herzensguter Junge. Wenn man aus irgendeinem Dorf im Hinterland angerufen und einen medizinischen Notfall gemeldet hat, ist er sofort losgefahren, um zu helfen. Und ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
Kennen Sie das Land, Chef? Sind Sie da mal gewesen? Berge, Täler und Flüsse. Ich könnte mir vorstellen, dass sie verunglückt und in einen Abgrund gestürzt sind. Im Herbst, wenn das Laub von den Bäumen fällt, wird man wahrscheinlich in irgendeiner Schlucht zwischen den Felsen das Autowrack entdecken. Hören Sie, ich muss los. Und viel Glück! Er war ein netter Junge.«
Der Spürhund fuhr nach Travnik zurück, mietete sich ein
kleines Zimmer nebst Büro und engagierte Ibrahim, der froh über einen Job als Führer und Dolmetscher war.
Er hatte ein Satellitentelefon mit mehreren Ersatzbatterien und ein Verschlüsselungsgerät mitgebracht, um seine Gespräche vor Lauschern zu schützen. Er benutzte es nur, um mit der Zentrale in London Kontakt zu halten. Dort hatte man ganz andere Möglichkeiten.
Seines Erachtens gab es mehrere Theorien, die von dumm über denkbar bis wahrscheinlich reichten. Die dümmste war, dass Ricky Colenso beschlossen hatte, den Landcruiser zu stehlen, Richtung Süden nach Belgrad zu fahren, ihn dort zu verkaufen, alle Zelte hinter sich abzubrechen und ein Hippieleben zu führen. Er verwarf diese Theorie. Das passte einfach nicht zu Ricky Colenso, und warum sollte er einen Landcruiser stehlen, wenn sein Opa die ganze Fabrik kaufen konnte?
Die nächste war, dass Fadil Sulejman den jungen Amerikaner zu einer Spritztour überredet und dann ermordet hatte, um den Geldgürtel und den Wagen zu stehlen. Denkbar. Aber als Bosniake ohne Pass würde Fadil nicht weit kommen.
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