Der Raecher
kann ich für dich tun?«
»Vielleicht können wir eine letzte gute Tat vollbringen. Mein Enkel war amerikanischer Staatsbürger. Die USA haben das Recht, die Auslieferung dieses Unmenschen zu verlangen, egal, wo er steckt. Damit er hier wegen Mordes vor Gericht gestellt werden kann. Das bedeutet Justizministerium. Und Außenministerium. Sie müssen gemeinsam auf jede Regierung einwirken, die diesem Schwein Unterschlupf gewährt. Kannst du das in die Hand nehmen?«
»Mein Freund, wenn diese Washingtoner Regierung dir nicht Gerechtigkeit verschaffen kann, dann kann es niemand.«
Er erhob das Glas.
»Auf eine letzte gute Tat«
Doch er irrte.
14
Der Vater
E s war nur ein Familienkrach, der eigentlich mit einem Versöhnungskuss hätte enden müssen. Doch er fand zwischen einer temperamentvollen Tochter mit italienischem Blut und einem starrköpfigen Vater statt.
Im Sommer 1991 wurde Amanda Jane Dexter sechzehn und sah hinreißend aus. Die neapolitanischen Gene der Marozzis hatten sie mit einer Figur ausgestattet, die sogar einem Bischof den Seelenfrieden rauben könnte. Und von Dexters blonden angelsächsischen Vorfahren hatte sie das Gesicht der jungen Bardot geerbt. Die Jungen aus der Gegend liefen ihr in Scharen hinterher, und ihr Vater musste sich damit abfinden. Aber diesen Emilio mochte er nicht.
Er hatte nichts gegen Latinos, aber Emilio besaß etwas Verschlagenes und Oberflächliches, ja Gemeines und Brutales, auch wenn er wie ein Filmstar aussah. Doch Amanda Jane war bis über beide Ohren in ihn verknallt.
Zu dem Streit kam es in den großen Sommerferien. Emilio wollte mit ihr ans Meer fahren. Er tischte eine hübsche Geschichte auf, erzählte, es seien noch andere junge Leute und auch erwachsene Aufsichtspersonen da. Er schwärmte von den Beachsportarten und der gesunden Atlantikluft. Das klang gut, normal und harmlos. Doch als Cal Dexter dem jungen Mann in die Augen sah, wich er seinem Blick aus. Sein Gefühl sagte ihm, dass da etwas nicht stimmte. Er verweigerte seine Erlaubnis.
Eine Woche später brannte Amanda Jane durch und hinterließ
eine Nachricht. Sie sollten sich keine Sorgen machen, schrieb sie, es werde schon alles in Ordnung kommen, aber sie sei jetzt eine Frau und lasse sich nicht mehr wie ein Kind behandeln.
Sie kehre nie mehr zurück.
Die Schulferien gingen zu Ende, und sie tauchte noch immer nicht auf. Zu spät hörte die Mutter auf ihren Mann. Sie wussten nicht, wo die Strandparty stattgefunden hatte, auch nicht, wer dieser Emilio eigentlich war. Sie kannten weder seine Familie noch sein richtiges Zuhause. Die Adresse in der Bronx, die er ihnen genannt hatte, entpuppte sich als Pension. Sein Auto war in Virginia zugelassen, doch als Dexter in Richmond nachfragte, erfuhr er, dass der Wagen im Juli gekauft und bar bezahlt worden war. Selbst sein Nachname, Gonzalez, war ein Allerweltsname wie Smith.
Cal Dexter nutzte seine Kontakte und wandte sich Hilfe suchend an einen Sergeant von der Vermisstenstelle der New Yorker Polizei. Der Beamte war verständnisvoll, hatte aber wenig Hoffnung. »Mit sechzehn ist man heutzutage erwachsen, Mr. Dexter. Sie schlafen miteinander, fahren zusammen in Urlaub, gründen einen Hausstand...«
Solange kein hinreichender Verdacht auf Nötigung, Freiheitsberaubung, gewaltsames Fernhalten vom Elternhaus, Drogenmissbrauch oder Ähnliches vorliege, könne die Polizei keine Fahndung einleiten.
Dexter musste zugeben, dass er nur eine einzige telefonische Nachricht erhalten hatte. Amanda Jane hatte bewusst zu einer Zeit angerufen, als er in der Arbeit, ihre Mutter außer Haus und nur der Anrufbeantworter eingeschaltet war.
Es gehe ihr gut, sie sei sehr glücklich, und sie sollten sich keine Sorgen machen. Sie lebe jetzt ihr eigenes Leben und genieße es. Sie lasse wieder von sich hören, wenn ihr danach sei.
Cal Dexter verfolgte den Anruf zurück. Sie hatte ein Handy benutzt, eines von der Sorte, die mit einer gekauften SIM-Karte
funktionierten und deren Besitzer daher nicht zu ermitteln waren. Er spielte dem Sergeant das Band vor, doch der zuckte nur mit den Schultern. Wie alle Vermisstenstellen der Polizei in den Vereinigten Staaten war auch seine überlastet. Und hier lag kein Notfall vor.
Weihnachten kam, doch es war trostlos. Seit sechzehn Jahren das erste Fest im Haus der Dexters ohne ihr Kind.
Ein Jogger fand morgens die Leiche. Er hieß Hugh Lamport und leitete eine kleine IT-Beraterfirma. Er war ein unbescholtener Bürger, der sich fit zu
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