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Der Raecher

Titel: Der Raecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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gar nicht mehr in der Gegend vermutet hatten und die anscheinend nicht ans Aufgeben dachten. Es kam zu einem Feuergefecht, und zwei Kugeln aus einer Schmeisser-Maschinenpistole trafen ihn am linken Arm und an der linken Schulter.
    Sie waren meilenweit von der nächsten Ortschaft entfernt, besaßen keine Schmerzmittel und marschierten eine Woche
lang unter Qualen, ehe sie auf eine vorgeschobene britische Einheit trafen. Er wurde notdürftig zusammengeflickt und mit Morphium voll gepumpt, anschließend mit einer Liberator nach London geflogen und in ein Lazarett gebracht, wo ihm eine bessere Behandlung zuteil wurde.
    Als er wieder auf dem Damm war, schickte man ihn in ein Genesungsheim an der Küste von Sussex. Sein Zimmergenosse, ein kanadischer Kampfpilot, kurierte Brüche an beiden Beinen aus. Um sich die Zeit zu vertreiben, spielten sie Schach.
    Nach seiner Heimkehr stand ihm die Welt offen. Er trat in die Firma seines Vaters an der Wall Street ein, übernahm sie schließlich, wurde ein Finanztycoon und kandidierte mit sechzig für ein politisches Amt. Im April 2001 absolvierte er seine vierte und letzte Amtsperiode als republikanischer Senator des Bundesstaates New Hampshire und hatte gerade die Wahl eines Republikaners zum Präsidenten erleben dürfen.
    Als er hörte, wer in der Leitung war, wies er seine Sekretärin an, keine Anrufe mehr durchzustellen.
    »Steve. Wie schön, wieder mal von dir zu hören. Wo bist du?«
    »Hier in Washington. Peter, ich muss mit dir reden. Es ist wichtig.«
    Der Senator spürte, in welcher Stimmung sein Freund war, und schlug einen ernsteren Ton an. »Aber natürlich. Worüber?«
    »Beim Lunch. Kannst du das einrichten?«
    »Ich sage alle Termine ab. Im Hay Adams. Frag nach meinem üblichen Ecktisch. Dort sind wir ungestört. Ein Uhr.«
    Sie trafen sich, als der Senator den Vorraum betrat. Der Kanadier erwartete ihn dort.
    »Du hast so ernst geklungen, Steve. Wo drückt der Schuh?«
    »Ich komme von einer Beerdigung in Georgetown. Ich habe gerade meinen einzigen Enkel begraben.«
    Der Senator starrte ihn ungläubig an. »Mein Gott, alter Freund, das tut mir schrecklich Leid. Ich kann’s nicht fassen. War er krank? Oder hatte er einen Unfall?«

    »Reden wir am Tisch weiter. Ich muss dir etwas vorlesen.«
    Als sie Platz genommen hatten, beantwortete der Kanadier die Frage des Freundes. »Er wurde ermordet. Kaltblütig ermordet. Nicht hier, und nicht erst vor kurzem. Vor fünf Jahren. In Bosnien.«
    Er erzählte von 1995, vom Wunsch des Jungen, den bosnischen Flüchtlingen zu helfen; von seiner Odyssee durch die Hauptstädte, die ihn schließlich nach Travnik geführt hatte; von dem Dolmetscher, mit dem er zum Gehöft von dessen Familie fuhr. Dann kam er auf Rajaks Geständnis zu sprechen.
    Der Kellner brachte zwei trockene Martini. Der Senator bestellte Räucherlachs, Vollkornbrot und gekühlten Meursault. Edmond nahm das Gleiche.
    Der Senator hatte es sich angewöhnt, schnell zu lesen, doch nach der Hälfte des Berichts pfiff er leise durch die Zähne und las langsamer.
    Während der Senator noch in die letzten Seiten des Berichts vertieft war, blickte Steve Edmond sich um. Sein Freund hatte eine gute Wahl getroffen. Ein diskreter Tisch direkt hinter dem Flügel, abgeschieden in einer Nische am Fenster, durch das man eine Ecke des Weißen Hauses sehen konnte. Das Lafayette im Hotel Hay Adams war einmalig, und die Atmosphäre erinnerte mehr an ein Landgut des 18. Jahrhunderts als an ein Restaurant mitten in einer betriebsamen Hauptstadt.
    Senator Lucas hob den Kopf.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Steve. Das ist wahrscheinlich das furchtbarste Dokument, das ich jemals gelesen habe. Was kann ich für dich tun?«
    Ein Kellner räumte die Teller ab und brachte zwei Espresso und für jeden ein Glas alten Armagnac. Sie schwiegen, bis der junge Mann gegangen war.
    Steve Edmond betrachtete ihrer beider Hände, die auf dem weißen Tischtuch lagen. Altmännerhände, von Adern durchzogen und voller Leberflecken. Hände, die ein Jagdflugzeug vom
Typ Hurricane in einen Verband von Dornier-Bombern gesteuert, die bei Bozen mit einem M-1-Karabiner in eine Taverne voller SS-Männer gefeuert hatten; Hände, die gekämpft, Frauen gestreichelt, Kinder gehalten, Schecks unterzeichnet, ein Vermögen erarbeitet, die Politik beeinflusst, die Welt verändert hatten. Früher.
    Peter Lucas fing seinen Blick auf und ahnte, was in ihm vorging. »Ja, wir sind alt geworden. Aber noch nicht tot. Was

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