Der Raecher
tunesischen Exil lebte.
Die Terroristen hatten nicht die Absicht, das Schiff zu kapern, sondern bei dem geplanten Zwischenstopp im israelischen Aschdod von Bord zu gehen und Israelis als Geiseln zu nehmen. Doch es kam anders. Am 7. Oktober, während der Fahrt von Alexandria nach Port Said, prüften sie in einer ihrer Kabinen gerade ihre Schusswaffen, als ein Steward hereinplatzte, die Waffen sah und Alarm schlug. Die vier Palästinenser gerieten in Panik und brachten das Schiff in ihre Gewalt.
Es folgten vier zermürbende Verhandlungstage. Aus Tunis flog ein gewisser Abu Abbas ein, der sich als Unterhändler Arafats ausgab. Tel Aviv wollte von ihm nichts wissen und wies darauf hin, dass Abu Abbas der Chef der PLF sei und kein Vermittler mit lauteren Absichten. Schließlich einigte man sich. Den Terroristen wurde freier Abzug zugesichert. Sie sollten mit einem ägyptischen Verkehrsflugzeug nach Tunis ausgeflogen werden. Der italienische Kapitän beteuerte, dass niemand an Bord zu Schaden gekommen sei. Eine Lüge, zu der er mit vorgehaltener Waffe gezwungen wurde.
Unmittelbar nach der Freigabe des Schiffs kam ans Licht, dass die Palästinenser am dritten Tag der Entführung den neunundsiebzigjährigen Leon Klinghoffer, einen an den Rollstuhl gefesselten
amerikanischen Touristen aus New York, ermordet hatten. Sie hatten ihm in den Kopf geschossen und die Leiche mitsamt dem Rollstuhl über Bord geworfen.
Für Ronald Reagan war der Handel damit hinfällig. Doch die Mörder waren bereits auf dem Heimflug. Sie saßen im Flugzeug eines souveränen, mit Amerika befreundeten Staates, und die Maschine befand sich in internationalem Luftraum, war folglich unantastbar. Oder auch nicht.
Zufällig durchpflügte zu der Zeit der mit Abfangjägern vom Typ F-14 Tomcat bestückte Flugzeugträger USS Saratoga die Adria in Richtung Süden. Bei Einbruch der Nacht wurde die ägyptische Verkehrsmaschine, die westwärts nach Tunis flog, bei Kreta geortet. Aus dem Dunkel tauchten plötzlich vier Tomcats neben ihr auf. Der erschrockene ägyptische Pilot ersuchte in Athen um Landeerlaubnis. Sie wurde ihm verweigert. Die Abfangjäger befahlen ihm unter Androhung von Konsequenzen, sie zu begleiten. Ein ebenfalls von der Saratoga aufgestiegenes Hawkeye-Radarflugzeug, dasselbe, das die ägyptische Maschine aufgespürt hatte, wickelte den Funkverkehr zwischen den Abfangjägern und dem Airliner ab.
Die Unterhaltung endete, als das Verkehrsflugzeug mit den Mördern und Abu Abbas an Bord unter Geleit auf dem sizilianischen Luftwaffenstützpunkt Sigonella landete. Dann wurde es kompliziert.
Sigonella wurde von der US Navy und der italienischen Luftwaffe gemeinsam genutzt. Theoretisch war der Stützpunkt italienisches Hoheitsgebiet, die USA bezahlten nur Pacht. Die Regierung in Rom, in einem Zustand höchster Erregung, beanspruchte das Recht, den Terroristen den Prozess zu machen. Die Achille Lauro sei ein italienisches Schiff, der Stützpunkt befinde sich auf italienischem Boden.
Präsident Reagan musste die amerikanischen Spezialkräfte in Sigonella persönlich anrufen und ihnen befehlen, klein beizugeben und die Palästinenser den Italienern zu überlassen.
Zu gegebener Zeit wurden die Täter in Genua, dem Heimathafen des Kreuzfahrtschiffs, abgeurteilt. Doch ihr Anführer, Abu Abbas, flog am 12. Oktober als freier Mann aus. Der italienische Verteidigungsminister trat angewidert zurück. Der damalige Ministerpräsident hieß Bettino Craxi. Er starb später in Tunis, wohin er ins Exil gegangen war, weil die Justiz wegen massiver Veruntreuung im Amt gegen ihn ermittelte.
Reagans Antwort auf diese Perfidie war das Mantelgesetz, das auch »Nie-wieder-Gesetz« genannt wurde. Am Ende war es nicht das kluge Mädchen aus Wisconsin, sondern der ehemalige und mittlerweile pensionierte Terroristenjäger des FBI, Oliver »Buck« Revell, der den alten Senator bei einem Abendessen über die »Hilfeleistungen« aufklärte.
Aber noch dachte niemand daran, dass eine »Hilfeleistung« im Fall Zilić erforderlich werden könnte. Nach Miloševićs Sturz drängte Jugoslawien in die Gemeinschaft der zivilisierten Nationen zurück und benötigte für den Wiederaufbau seiner Infrastruktur nach siebzig Tagen Nato-Luftkrieg umfangreiche Kredite vom Internationalen Währungsfonds und anderen Institutionen. Man ging davon aus, dass der neue Präsident Koštunica eine Verhaftung und Auslieferung Zilićs an die USA als Bagatelle betrachten würde.
Nichts anderes hatte
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