Der Raecher
übelsten Sorte. Das verstößt gegen die Vorschriften, eindeutig gegen alle Vorschriften.«
»Und wenn schon. Ein paar alberne Vorschriften sind verletzt worden. In unserem Geschäft darf man nicht so zimperlich sein. Auch das FBI sollte begreifen, dass man manchmal das kleinere Übel wählen muss, wenn man das übergeordnete Gute erreichen will.«
»Belehren Sie mich nicht«, bellte Colin Fleming.
»Das liegt mir fern«, erwiderte der Bostoner gedehnt. »Na schön, Sie sind aufgebracht. Was gedenken Sie in der Sache zu tun?«
Es bestand kein Grund mehr, höflich zu bleiben. Der Fehdehandschuh war geworfen und lag auf dem Boden.
»Ich kann die Sache nicht auf sich beruhen lassen«, antwortete Fleming. »Dieser Zilić ist ein Perverser. Sie müssen doch gelesen haben, was er mit dem Jungen aus Georgetown angestellt
hat. Trotzdem verkehren Sie mit ihm. Durch einen Bevollmächtigten, gut, trotzdem verkehren Sie mit ihm. Sie wissen, wozu der Kerl fähig ist, was er bereits getan hat. Wir haben alles schwarz auf weiß, und ich weiß, dass Sie es gelesen haben müssen. Uns liegt eine Aussage vor, derzufolge er einen Ladeninhaber, der nicht zahlen wollte, an den Füßen aufgehängt hat, zehn Zentimeter über einem elektrischen Heizlüfter, bis ihm das Hirn kochte. Das ist ein sadistischer Irrer. Wofür, zum Teufel, benutzen Sie ihn?«
»Falls ich das tatsächlich tue, ist es geheim. Selbst für einen stellvertretenden Direktor des FBI.«
»Liefern Sie das Schwein aus. Sagen Sie uns, wo wir ihn finden.«
»Selbst wenn ich es wüsste, was ich nicht zugebe, nein.«
Colin zitterte vor Wut und Abscheu.
»Wie können Sie nur so verdammt selbstgefällig sein?«, brüllte er. »1945 hat die Spionageabwehr im besetzten Deutschland mit Nazis kooperiert, die ihr im Kampf gegen den Kommunismus helfen sollten. Das hätten wir niemals tun dürfen. Wir hätten diese Schweine nicht mal mit einer Kneifzange anfassen dürfen. Es war damals falsch, und es ist heute falsch.«
Devereaux seufzte. Langsam wurde es ermüdend, und sinnlos war es schon lange.
»Ersparen Sie mir Ihre historischen Belehrungen«, sagte er. »Ich frage Sie noch einmal: Was gedenken Sie in der Sache zu tun?«
»Ich werde Ihren Direktor davon unterrichten«, antwortete Fleming.
Paul Devereaux erhob sich. Es war Zeit zu gehen.
»Ich will Ihnen mal was sagen. Letzten Dezember wäre ich erledigt gewesen, heute kann mir keiner mehr. Die Zeiten ändern sich.«
Er spielte darauf an, dass im Dezember 2000 der Präsident noch Bill Clinton geheißen hatte.
Nach peinlichen Ungereimtheiten bei der Stimmenauszählung in Florida wurde im Januar 2001 ein gewisser George W. Bush zum Präsidenten vereidigt, und sein glühendster Anhänger war kein anderer als der damalige CIA-Direktor George Tenet.
Und die Macher um George W. Bush alias Dubya würden das Projekt Peregrine nicht kippen, nur weil jemand die Clinton’ schen Vorschriften außer Kraft gesetzt hatte. Sie selbst taten ja das Gleiche.
»Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen!«, rief Fleming dem Scheidenden nach. »Man wird ihn finden und herbringen, wenn ich dabei ein Wörtchen mitzureden habe.«
Auf der Fahrt nach Langley dachte Devereaux im Wagen über diese Bemerkung nach. Die dreißig Jahre in der Schlangengrube CIA hatte er nur durch die Entwicklung feiner Antennen überlebt. Er hatte sich soeben einen Feind gemacht, vielleicht einen gefährlichen.
»Man wird ihn finden.« Wer? Wie? Und was konnte der Moralist aus dem Hoover-Gebäude dabei mitzureden haben? Er seufzte. Eine Sorge mehr auf dieser stressgeplagten Welt. Er würde Colin Fleming mit Adleraugen beobachten müssen… besser noch mit Falkenaugen. Er lächelte über den Scherz, aber nicht mehr lange.
20
Der Jet
B eim Anblick des Hauses musste Cal Dexter über die Ironie des Schicksals schmunzeln. Nicht der ehemalige GI und spätere Anwalt nannte das hübsche Haus in Westchester County sein Eigen, sondern der magere Junge aus Bedford-Stuyvesant. In den letzten dreizehn Jahren hatte es Washington Lee offensichtlich weit gebracht.
Als er an jenem Sonntagmorgen im späten Juli die Haustür öffnete, fiel Dexter sofort auf, dass seine wilde Afrofrisur sauber gestutzt war. Außerdem hatte er sich die vorstehenden Zähne richten und die knollige Nase verkleinern lassen. Vor ihm stand ein zweiunddreißigjähriger Geschäftsmann mit Frau und zwei Kindern, einem netten Haus und einer bescheidenen, aber gut gehenden EDV-Beratung.
Dexter hatte
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