Der raetselhafte Kunstraub
großen Nesselvorhang zusammenhielt.
„Bitte, Monika“, sagte der Bürgermeister jetzt und winkte zu einem kleinen Mädchen hinüber, das in einen himmelblauen Kleid auf diesen Moment gewartet hatte.
„Das ist Monika, und sie hat heute zusammen mit unserer Stadt Geburtstag“, erklärte der Bürgermeister. „Nur daß Bad Rittershude heute tausend Jahre alt wird und Monika erst zehn.“
Man hatte im Gemeinderat lange hin und her beraten, auf welche Weise man die Festwoche eröffnen sollte. Es sollte etwas ganz Besonderes werden. Und dann hatte eine Dame vom Jugendamt die Idee mit einem Kind gehabt, das am ersten Tag der Tausendjahrfeier seinen zehnten Geburtstag haben müßte. Beim Suchen nach einem solchen Kind war man dann auf Monika gestoßen. Das kleine Mädchen trippelte zum Podium, stand dann neben dem Stadtoberhaupt und machte einen Knicks. Sie sah aus wie ein piekfeiner Weihnachtsengel. Ihre Haare waren zu lauter Locken gedreht, und an dem himmelblauen Kleid hatte sie mindestens zwanzig kleine weiße Schleifen.
„Die hat ihre Mutter Schwerstarbeit gekostet“, flüsterte Emil Langhans. Die Glorreichen Sieben standen dicht nebeneinander auf der Galerie. Wenn sie sich auf die Zehen stellten, konnten sie gerade noch das Rednerpult sehen, bis auf den kleinen Sputnik, den Paul Nachtigall immer wieder einmal hochheben mußte. Das kleine Mädchen namens Monika war inzwischen mit Hilfe des Bürgermeisters auf das Podium geklettert und sagte jetzt mit ihrer Piepsstimme: „Die Stadt Rittershude wünscht Ihnen allen für diese Tausendjahrfeier eine Woche lang schönes Wetter und viel Freude.“ Sie hatte ein ganz rotes Gesicht, weil ihr die Sache vermutlich zu Kopf gestiegen war.
In diesem Augenblick gab der Bürgermeister so unauffällig, daß es schon wieder auffällig war, Herrn Kalender ein Zeichen.
Das Mädchen Monika holte tief Luft wie vor dem Anlauf zu einem Weitsprung und rief dann laut: „Hiermit eröffne ich die Tausendjahrfeier der Stadt Bad Rittershude.“
Daraufhin passierte jetzt eine ganze Menge gleichzeitig.
Das städtische Kammerorchester spielte einen dreifachen Tusch, und der Bürgermeister hob seine linke Hand in die Luft. Polizeimeister Kalender nickte, um zu zeigen, daß er begriffen hatte.
Ein paar Angestellte des städtischen Finanzamts ließen vom Balkon des Rathauses dreihundert bunte Luftballons in den Himmel schweben, und der Schützenverein feuerte so schnell, wie es eben ging, hintereinander zwölf Böllerschüsse ab. Alle Anwesenden klatschten vergnügt in die Hände, und manche riefen dabei „Bravo!“ oder „Fabelhaft!“
Jetzt ließ der Bürgermeister seine linke Hand durch die Luft sausen. Polizeimeister Kalender nickte zum zweitenmal und zog dann kräftig an der roten Kordel. In zwei gewaltigen Wellen fiel der weiße Nesselvorhang auf den Boden.
„Bad Rittershude, hoch!“ rief der Zigarrenhändler Bemmelmann von der Galerie herunter.
„Hoch - hoch - hoch!“ antwortete es im Saal, in den Korridoren, auf der Treppe und draußen vom Rathausplatz.
In diesem Augenblick waren alle Anwesenden fest davon überzeugt, daß Bad Rittershude der Nabel der Welt sei. Jedenfalls für die nächsten Tage.
Während man draußen immer noch weiter „Hoch!“ rief und in die Hände klatschte, wurde es im Saal ganz still.
An den neuen Anblick mußte man sich zuerst einmal gewöhnen.
„Himmeldonnerwetter“, sagte Schokoladenfabrikant Hugendubel nach einer Weile und riß die Augen auf wie alle anderen.
„Ja, das ist ganz erstaunlich“, bemerkte der Regierungspräsident.
Das letzte Drittel des Rathaussaals war in ein regelrechtes Museum verwandelt. Die von den Künstlern eingereichten Werke standen nebeneinander auf Podesten, auf dem Boden oder hingen an den Wänden. Dazwischen hatte man zur Dekoration Stechpalmen und Gummibäume aufgestellt.
„Es sind genau zweiundfünfzig“, flüsterte Studienrat Dr. Purzer dem Herrn vom Kultusministerium ins Ohr. Er meinte damit die Zahl der Arbeiten, die sich an dem Kunst-Wettbewerb beteiligten.
„Darf ich bitten“, bat der Bürgermeister mit einer einladenden Handbewegung. Daraufhin setzte sich zuerst einmal die Gruppe der Ehrengäste in Bewegung.
Als auch die übrigen Besucher gleich nachdrängten, breitete Polizeimeister Kalender seine Arme aus. „Bitte, haben Sie doch noch eine Weile Geduld, bis die Herrschaften von der Landesregierung und der Stadtverwaltung ...“ Weiter kam er nicht. Er war im Nu umringt und
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