Der raetselhafte Kunstraub
eingekeilt.
Wie ein Sandberg, in den plötzlich Leben kommt, schoben sich die Menschen durch alle Türen in den Saal. Die Lawine war nicht mehr zu stoppen.
Auch die Glorreichen Sieben wurden die Treppe herunter in den Korridor geschoben. Sie hakten sich unter, gaben sich die Hände oder hielten sich am Gürtel fest, damit sie nicht auseinandergerissen wurden.
Der Regierungspräsident beantwortete die unvermutete Überschwemmung mit Humor. „Das Kunstinteresse in dieser Stadt ist ja gewaltig“, lächelte er.
„Man ist natürlich neugierig, was den Künstlern so eingefallen ist“, entschuldigte sich der Bürgermeister.
Die Herrschaften standen gerade ein wenig ratlos vor einer Plastik aus Chrom und Plexiglas. Das Ganze sah aus wie die Tragfläche eines Jumbo-Jet , der unter einen D-Zug gekommen sein mußte.
Man sah sich den plastischen Alptraum eine Weile an und ging dann schweigend weiter. Nur der Herr aus dem Kultusministerium murmelte: „Sehr interessant.“ Das Werk hatte die Nummer 16.
Irgendwo im Gedränge der Besucher war auch die Frau des Polizeimeisters Kalender. Sie ließ sich geduldig von der Strömung vorwärtsschieben, bis sie schließlich vor ihrer eigenen Büste stand. Man hatte das Werk auf einen Sockel gestellt und ihm die Nummer 27 gegeben.
Frau Kalender blickte zu sich hinauf, beziehungsweise zu ihrer Nachbildung aus grauem Basalt, und war gerührt.
Der südamerikanische Künstler hatte sein Modell um gute fünfzehn Jahre jünger gemacht. Aber die Gesichtszüge waren unverkennbar, und die Ähnlichkeit mit der Frau des Polizeimeisters sprang sofort ins Auge.
„Du kriegst die Motten“, sagte eine Stimme, und Frau Kalender zuckte zusammen. Sie drehte sich um. Hinter ihr stand Apotheker Pigge mit seiner Frau. „Entschuldigung“, er verbeugte sich jetzt. Aber ich bin ganz von den Socken. Das ist ja, als ob der Ambrosi Sie abfotografiert hätte, so gut hat er Sie getroffen. Meinen Glückwunsch!“
„Sehr freundlich“, hauchte Frau Kalender. Sie bedauerte es jetzt, daß dieses Stoffgeschäft den orangefarbenen Filz nicht mehr rechtzeitig geliefert hatte. Sie hatte deshalb einen Hut aufsetzen müssen, der ihrer Meinung nach nicht dem festlichen Anlaß entsprach und zudem nicht mehr ganz modern war.
Die Herrschaften mit dem Regierungspräsidenten und dem Bürgermeister hatten inzwischen ein riesiges Ölgemälde erreicht, das gleich die ganze Szene mit Kaiser Otto dem Großen, dem Löwen und der jungen Frau darstellte. Es ähnelte jenen riesigen Schlachtengemälden aus dem Museum.
Daneben hing in einem breiten Goldrahmen ein Bild, das ganz in Blau gemalt war. Es zeigte irgendein märchenhaftes Wesen, das in den Himmel schwebte.
„Das könnte Lion Baumgarten aus München sein“, überlegte der Herr aus dem Kultusministerium. „Dieses Pariser Blau ist unverkennbar.“ Er notierte sich die Nummer, unter der das Gemälde ausgestellt war, um später feststellen zu können, ob er richtig geraten hatte.
Die Glorreichen Sieben ließen sich Zeit. Sie blieben vor jedem Kunstwerk stehen, was gar nicht so einfach war, weil ja aus allen Richtungen geschoben und gedrängelt wurde.
Aber sie stemmten sich gegen den Strom, wenn es nötig war. Jedenfalls betrachteten sie sich jede Plastik und jedes Bild so genau, als ob sie etwas kaufen wollten.
Als sie schließlich vor der Nummer 27 standen, lachte der kleine Sputnik: „Sieh mal, wer da auf uns herunterblinzelt!“
Die Nummer 27 war das einzige Werk, von dem man wußte, welcher Künstler dahintersteckte.
Es hatte ja groß genug in den Rittershuder Nachrichten gestanden, daß Salvatore Ambrosi die Frau des Polizeimeisters zum Modell nehmen würde.
„Aber nicht schlecht“, bemerkte Paul Nachtigall. „Das muß man zugeben.“
Emil Langhans fingerte an seiner Brille herum. „Hätte ich dem Fleischberg gar nicht zugetraut.“
Besondere Aufmerksamkeit fand ein Künstler, der eine Schöpfung aus Zahnrädern, Metallspänen und einem verbogenen Wasserrohr geliefert hatte. Das Ganze war auf eine alte Margarinekiste montiert.
Die Leute lachten und machten Bemerkungen, die für den Herrn Künstler nicht sehr schmeichelhaft waren.
Die Büste mit der Nummer 5 war in Bronze gegossen und stand direkt neben einem der hohen Fenster mit den Rundbögen. Ein paar Sonnenstrahlen fielen auf ihre Schultern und auf ihre linke Gesichtshälfte. Dadurch bekam sie einen ganz leichten Glanz und etwas Leben, weil sich draußen vor der Sonne im Kastanienbaum die
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