Der raetselhafte Kunstraub
hält. Das hat etwas mit der garantierten Freiheit der Presse zu tun.“
„Eine Sache, die manchmal gar nicht so einfach ist, wie man sieht“, bemerkte Frau Kubatz. Sie hatte gerade ein Stück Pfirsich und eine Kirsche auf ihrem Löffel.
„Manchmal ist man gezwungen, Dinge zu tun, die man lieber nicht tun würde“, meinte Hauptschriftleiter Kubatz nachdenklich. „Aber man tut sie dann doch. Auch wenn die Leute den Kopf schütteln, weil sie einen nicht verstehen. Es ist beinahe so, als ob man Tabletten nimmt, obgleich man sie wieder aus spucken möchte, weil sie so abscheulich schmecken. Aber man schluckt sie dann doch. Man weiß eben, daß sie einen am Ende wieder gesund machen.“ Er stopfte sich wieder seine Pfeife. ^Jedenfalls gibt es bei den Bad Rittershuder Nachrichten keine verschlossenen Türen. Bei uns kann jeder reinspazieren und seine Meinung sagen.“ Er paffte die erste Rauchwolke ins Zimmer und rieb sich die Hände. „Und den Kunst-Wettbewerb macht so etwas nur noch spannender. Endlich ist doch einmal etwas los bei uns!“
„Und welchen Text soll diese Anzeige haben?“ fragte Karlchen. Er versuchte den Eindruck zu erwecken, als sei ihm die ganze Sache völlig gleichgültig.
Hauptschriftleiter Kubatz blickte auf das Stück Papier mit seinen Notizen. „Bad Rittershude wählt die Büste Nr. 27!“ Er faltete das Papier zusammen und steckte es in seine Brusttasche. „Wobei die Zahl 27 möglichst groß gedruckt werden soll.“
„Und diese 27 ist natürlich die Büste unseres Freundes Ambrosi?“ vermutete Frau Kubatz. Sie blickte neugierig zu Karlchen hinüber. „Der Eisdielenbesitzer und der Südamerikaner sind doch befreundet?“
„Das kann man wohl sagen“, bestätigte der Junge und bekam mal wieder einen roten Kopf.
„Unser Herr Sohn sieht im Augenblick nicht besonders intelligent aus“, lachte Hauptschriftleiter Kubatz. Und dann stellte er fest, daß man in der Redaktion auf ihn warten würde. Auch Karlchen stand auf.
Weil es im Freibad bei diesem Wetter gerammelt voll war, trainierten die Schwimmstaffeln und die Kunstspringer im Hallenbad. Dort war man heute ganz unter sich. Die Turner und Leichtathleten trafen sich auf dem Sportplatz.
„Das ist vielleicht ein Ding“, sagte Paul Nachtigall. Er stieg gerade in seine erbsengrüne Badehose. „Und jeden Tag eine halbe Seite?“ *Jeden Tag eine halbe Seite“, bestätigte Karlchen Kubatz. Er hatte natürlich sofort von dem Telefongespräch des Eisdielenmannes berichtet.
„So was muß doch irre teuer sein?“ fragte Emil Langhans.
„Billig sind diese Anzeigen nicht“, nickte Karlchen Kubatz. Er stellte seine Schuhe in den schmalen Kleiderschrank.
„Da werden wir noch eine Menge erleben, fürchte ich.“
Und damit sollte er recht behalten.
Schon als sie eine Stunde später zur Versammlung in Richtung Jahrmarkt fuhren, stoppte Paul Nachtigall sein Fahrrad, als käme plötzlich ein D-Zug über die Straße gerast. Die anderen mußten im letzten Augenblick aus-weichen oder genauso hart bremsen. „Das ist die Höhe!“ knurrte er nur und starrte über die Hauptstraße hinüber. „Guckt euch das an!“ Drüben klebte gerade ein Mann mit einer Mütze wie ein Bahnbeamter an eine Plakatsäule ein Stück Papier, das genauso knallrot war wie das Auto von Hauptschriftleiter Kubatz. Er strich mit einem breiten Leimpinsel darüber, bis keine Falte mehr zu sehen war. Dann betrachtete er kurz sein Werk und kletterte auf ein Fahrrad. An der Lenkstange dieses Fahrrads hing ein Kübel, und im Gepäckträger klemmte ein Stapel mit diesen knallroten Plakaten.
„Bad Rittershude wählt die Büste 27“, las Karlchen Kubatz vor.
Der Text stand in schwarzer Schrift über einer gleichfalls schwarzen und sehr großen 27, die jedem sofort in die Augen sprang.
„Die anderen schlafen nicht“, bemerkte Emil Langhans vorwurfsvoll. Und das hörte sich nicht nur deshalb so an, weil er gerade im Stimmbruch war.
Auf dem Weg zum Jahrmarkt am Straßenbahndepot begegneten die Glorreichen Sieben noch genau zehnmal den knallroten Plakaten. An Bekanntmachungstafeln, irgendwelchen reservierten Werbeflächen und an den übrigen Plakatsäulen. Überall waren sie noch naß vom Leim. Sie konnten erst in der letzten Stunde angeklebt worden sein.
Der Jahrmarkt war ziemlich gut besucht. Allerdings waren um diese Zeit hauptsächlich Kinder mit ihren Müttern oder Tanten unterwegs. Sie wieherten und krähten vor Freude, wenn sie vom Kettenkarussell durch die Luft
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