Der Ramses-Code
sie sind durch nichts bewiesen. Aber wie erklären Sie sich, daß eine ganze Reihe von Zeichen bei Ihnen mit meiner Interpretation übereinstimmt – allein drei im Namen des Ptolemaios? Sie werden wohl kaum bestreiten, daß meine Entdeckung der Ihren zeitlich voranging.«
»Ich werde Ihnen noch zahlreiche Beweise dafür liefern, daß zur Hälfte richtig eben nicht richtig ist. Ich mache Ihnen übrigens nicht streitig, daß Sie der richtigen Idee folgten, die Zeichen seien lautlich zu lesen. Aber warum zum Beispiel konnten Sie den Namen der Kleopatra auf dem Obelisken nicht lesen? Der Obelisk lag in London, Sie hatten Jahre Zeit dafür!«
»Sie konnten ›Kleopatra‹ nur entziffern, weil Sie die Zeichen aus ›Ptolemaios‹ und ›Berenike‹ verwendeten, die ich entdeckt habe!« brauste der Physiker auf.
»Keineswegs«, versetzte Jean-François kühl, »aber selbst wenn dies der Fall wäre, warum konnten Sie dann ›Kleopatra‹ nicht lesen?«
Young schwieg betreten.
»Was ist Ihre Entdeckung wert, wenn Sie nichts damit anfangen können? Oder zu falschen Schlüssen geführt werden? Ich kann Ihnen konzedieren, daß Sie eine Handvoll Lautwerte korrekt identifiziert haben, desgleichen die weibliche Endung sowie einige Ziffern. Es entspricht ebenfalls den Tatsachen, daß die Ägypter die Mehrzahl schrieben, indem sie einen Gegenstand dreifach abbildeten. Aber das Prinzip der ägyptischen Schrift haben Sie nicht erkannt, wofür die Ergebnislosigkeit Ihrer seither unternommenen Bemühungen zeugt. Mir ist auch unverständlich, wie Sie der merkwürdigen Idee verfallen konnten, manche Hieroglyphen würden überhaupt nichts bedeuten. – Sehen Sie, meine Herren«, wandte er sich ans Publikum, unterbrach sich aber. Belzoni, dessen schiere Leibesmasse sein italienisches Temperament augenscheinlich kaum noch bändigen konnte, rutschte immer erregter auf seinem Stuhl hin und her, und hinter ihm wurde ein schwarzer Schleier erkennbar. Nun wußte Jean-François wieder, was ihm vorhin bereits aufgefallen war. Irritiert verbesserte er sich: »Pardon, meine Dame und meine Herren …«
Sich wieder zur Tafel drehend, fuhr er mit einem leichten Zittern in der Stimme fort: »Diese Zeichengruppe identifizierte Mister Young – ich weiß nicht, wie – als Namenskartusche der Königin Arsinoë.
In Wirklichkeit handelt es sich allerdings um eine Titulatur, auf die man an vielen Tempeln und Obelisken stößt, teils einzeln, meist aber in Verbindung mit Namensinschriftenspäter Herrscher, nämlich der römischen Kaiser. Es ist der Titel ›Autokrator‹, der dem lateinischen Imperator entspricht und den die Cäsaren im Ostteil ihres Weltreiches, also auch in Ägypten, nach hellenischem Muster als Titel führten.«
Er schrieb die Lautwerte unter die entsprechenden Zeichen.
»Ich fand diese Kartusche unter anderem auf dem Tierkreis von Dendera, woraus leicht zu folgern war, daß der Zodiakus keinesfalls dermaßen alt sein kann, wie manche allzu interpretationseifrige Gelehrte meinten verkünden zu müssen, sondern im Gegenteil erst in der Spätzeit entstand.«
Jomard, zum zweiten Male wissenschaftlich gemaßregelt, spielte nervös mit den Fingern, Young zog den Kopf zwischen die Schultern und sah mit wachsender Bestürzung zu, wie der Vortragende an der Tafel seine Interpretation zerpflückte. Er wandte für einen Moment den Kopf zur Seite und stieß mit dem Raubvogelblick von Ravenglass zusammen, der ihn finster musterte, sich dann aber wortlos wieder dem Redner zuwandte.
»Entschuldigen Sie, Monsieur«, mischte sich Langlès ein, »aber warum findet der Buchstabe O in der Schreibung von ›Autokrator‹ keine Berücksichtigung, wird jedoch in den Namen Ptolemaios oder Kleopatra mitgeschrieben?«
»Offen gestanden weiß ich es nicht«, erwiderte Jean-François, was ein hämisches Grinsen über das Gesicht des Fragers huschen ließ, als wolle er sagen: Da habe ich dich doch ertappt, Bube! »Ich führe es auf den recht freizügigen, unverbindlichen Umgang der Ägypter mit Vokalen zurück, die sie mal durch diese, mal durch jene Hieroglyphe darstellen, meistens aber gar nicht. Ich beabsichtige, Ihnen noch weitere Kostproben davon zu bieten, welche dann hoffentlich auch Monsieur Langlès überzeugen werden.«
Jean-François zeichnete eine neue Hieroglyphenfolge an die Tafel und sagte: »Ich präsentiere Ihnen jetzt die hieroglyphische Schreibung von Alexander dem Großen.
Aleksandros. Die Ägypter kannten den Buchstaben X
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