Der Raritätenladen
Worten brachte Madame Jarley eine andere Ankündigung zum Vorschein, die dahin lautete, daß infolge zahlreicher Nachfragen am Eingang der Ausstellung und infolge der Zurückweisung so vieler Schaulustiger, die ent
täuscht abziehen mußten, die Ausstellung noch eine Woche länger dauern und am nächsten Tage wieder geöffnet werden würde.
»Denn da die Schulen geschlossen und die gewöhnlichen Zuschauer müde sind«, fuhr Madame Jarley fort, »so müssen wir uns jetzt an den großen Haufen wenden, der einen besonderen Kitzel braucht.«
Am Mittag des folgenden Tages nahm Madame Jarley ihren Sitz hinter dem schön verzierten Tische, umgeben von den berühmten, früher erwähnten Figuren, und befahl, die Türen zum Einlaß eines einsichtsvollen und erleuchteten Publikums zu öffnen. Aber die Wirkungen des ersten Tages waren keineswegs sehr erfolgreich, da der große Haufen zwar für Madame Jarleys Person und ihre wächsernen Satelliten, insofern dieselben umsonst zu sehen waren, ein lebhaftes Interesse an den Tag legte, aber durch kein Reizmittel sich bewegen ließ, sechs Pence für die Person zu zahlen. Allerdings belagerten viele Leute den Eingang, um die darin ausgestellten Figuren zu begaffen, und blieben mit großer Beharrlichkeit stundenlang davor stehen, um die Zettel zu lesen oder die Drehorgel spielen zu hören, und obgleich diese Zuschauerschaft wohlwollend genug war, ihren Freunden zu empfehlen, die Ausstellung in gleicher Weise zu fördern, bis der Zugang die halbe Stadtbevölkerung faßte, die, wenn sie ihren Pflichten endlich nachgehen mußte, von der zweiten Hälfte abgelöst wurde, so wollte doch der Schatz durchaus nicht reicher oder überhaupt die Aussicht für die Anstalt ermutigender werden.
Da der klassische Markt so flau ging, versuchte Madame Jarley einige außerordentliche Mittel, um den Geschmack des Volkes zu reizen und seine Neugier anzufachen. Eine gewisse Maschinerie in dem Leib der Nonne auf dem Blechdach über der Tür wurde ausgestäubt und in Bewegung gesetzt, so daß
die Figur den ganzen Tag lang paralytisch den Kopf schüttelte, zur großen Bewunderung eines betrunkenen, aber sehr protestantischen Barbiers über der Straße, der die erwähnte paralytische Bewegung als einen Ausdruck der erniedrigenden Wirkung betrachtete, die der Zeremoniendienst der römischen Kirche auf den menschlichen Geist übte, ein Thema, das er mit großer Beredsamkeit und Moral entwickelte. Die beiden Fuhrleute des Etablissements gingen beharrlich in verschiedenen Verkleidungen durch die Türen des Ausstellungssaales aus und ein, beteuerten, der Anblick sei sein Geld wert, mehr als alles, was sie je in ihrem Leben gesehen hätten, und beschworen die Umstehenden mit Tränen in den Augen, sich einen so wunderbaren Genuß ja nicht entgehen zu lassen. Madame Jarley saß hinter dem Zahltische, von Mittag bis in die Nacht hinein mit den Silbermünzen klimpernd, und forderte die Menge feierlichst auf, zu bedenken, daß der Eintrittspreis bloß sechs Pence sei und daß die ganze Sammlung unwiderruflich heute über acht Tage aufbrechen werde, um bei allen gekrönten Häuptern Europas die Runde zu machen.
»Also kommt beizeiten, kommt beizeiten, kommt beizeiten!« rief Madame Jarley jedesmal am Schlusse einer solchen Anrede. »Bedenkt, es ist Jarleys staunenerregende Sammlung von mehr als hundert Wachsfiguren, die einzige Sammlung der ganzen Welt! In allen andern findet man nur Trug und Täuschung. Kommt beizeiten, kommt beizeiten, kommt beizeiten!«
Dreiunddreißigstes Kapitel
Da der Gang unserer Erzählung fordert, daß wir irgendwo in einem dieser Kapitel mit einigen Einzelheiten bekannt gemacht werden, die sich auf die häuslichen Einrichtungen des Herrn Sampson Braß beziehen, und da sich für diesen Zweck kaum eine passendere Stelle als diese hier finden wird, so nimmt der Erzähler den freundlichen Leser bei der Hand, macht mit ihm eine Luftfahrt, und zwar weit schneller, als je Don Cleophas Leandro Perez Zambullo in der Gesellschaft seines Vertrauten jene angenehme Region durchschnitt, und läßt sich mit ihm auf dem Pflaster von Bevis-Marks nieder.
Die unerschrockenen Luftschiffer landen vor einem kleinen, finstern Hause, ehedem die Residenz des Herrn Sampson Braß.
Am Wohnzimmerfenster dieser kleinen Behausung, das so nahe an dem Trottoir liegt, daß der an der Mauer gehende Fußgänger das trübe Glas mit seinem Rockärmel abbürstet, was ihm wohl zustatten kommt, denn es ist sehr schmutzig – an
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