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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Schmach mitteilte. Als sie damit fertig
war, bat sie dieselben in einer Art tiefer Verzweiflung zu trinken; dann lachte sie, dann weinte sie, dann nippte sie selbst ein wenig an dem Glas, dann lachte und weinte sie wieder, nahm dann abermals ihre Zuflucht zu dem Gläschen, und so trieb die würdige Dame es weiter, lachte allmählich immer mehr, weinte dafür um so seltener, bis sie endlich nicht mehr genug über Miß Monflathers lachen konnte, die, anfänglich die Ursache des gräßlichen Ärgers, nun zum Gegenstand spöttischen Lachens herabgesunken war.
    »Ich möchte doch wissen, wer von uns beiden besser dran ist«, sprach Madame Jarley, »sie oder ich! Am Ende ist es doch nur eitles Gesalbader, und wenn sie von mir als einer zum Stock Verurteilten spricht, je nun, so kann ich auch von ihr dasselbe sagen, was bei Lichte betrachtet noch um ein Ansehnliches spaßhafter ist. Ach Gott, was liegt denn im Grunde daran!«
    Nachdem sich Madame Jarley in diese tröstliche Stimmung hineingearbeitet hatte, zu der ihr auch gewisse kurze Randbemerkungen des philosophischen George verholfen hatten, tröstete sie Nell mit vielen freundlichen Worten und erbat sich von ihr als persönliche Gunst, sie solle, sooft sie an Miß Monflathers denke, ihr ganzes Leben nichts anderes tun als sie auslachen.
    So endete Madame Jarleys Zorn, über den sie die Sonne nicht untergehen ließ. Nells Kummer saß jedoch tiefer, und die Störung, die ihr Frohsinn erlitten hatte, war nicht so leicht zu beseitigen.
    Wie sie befürchtet hatte, stahl sich ihr Großvater diesen Abend fort und kam nicht wieder zurück, bis die Nacht fast vorüber war. So müde und erschöpft sie auch körperlich und geistig war, blieb sie doch allein auf und zählte die Minuten, bis er zurückkehrte – ohne einen Heller Geld, niedergedrückt
und elend, aber doch immer glühend seiner Betörung ergeben.
    »Schaffe mir Geld!« sagte er wild, ehe er sich zu Bett begab. »Ich muß Geld haben, Nell. Es soll dir eines Tages mit reichlichen Zinsen zurückerstattet werden; aber das ganze Geld, das du erhältst, muß mein werden, nicht für mich, sondern zu deinem Vorteil! Vergiß nicht, Nell, zu deinem Vorteil!«
    Was konnte die Kleine in der entsetzlichen Verzweiflung, die auf ihrer Seele lag, anders tun, als ihm jeden Pfennig, der ihr in die Hände kam, zu geben, damit er sich nicht versucht fühlen möchte, ihre Wohltäterin zu bestehlen? Wenn sie die Wahrheit sagte, dachte sie, so würde er als ein Wahnsinniger behandelt; wenn sie ihn nicht mit Geld versah, würde er selbst Wege suchen, es sich zu verschaffen; versah sie ihn aber mit Geld, so nährte sie das Feuer, das ihn verzehrte, und steigerte seine Krankheit zur völligen Unheilbarkeit. Durch solche Gedanken verwirrt, durch die Last des Kummers, den sie niemand mitteilen konnte, zu Boden gedrückt, während der Abwesenheit des alten Mannes von tausend Befürchtungen gequält, stets aufgeregt, ob er nun zu Hause war oder sie ihn furchtsam erwartete, wich die Farbe von ihren Wangen, ihre Augen verloren den strahlenden Glanz, und ihr Herz war schwer und beklommen. All ihre alten Sorgen kehrten mit neuen Schrecken und Zweifeln vermehrt wieder zurück, wichen den Tag über nicht aus ihrer Seele, umschwebten des Nachts ihr Lager und beunruhigten ihre Träume.
    Es war natürlich, daß inmitten ihrer Trübsal ihre Gedanken oft wieder zu der freundlichen jungen Dame zurückkehrten, die sie zwar nur flüchtig gesehen hatte, an deren Teilnahme sie sich jedoch wie an jahrelang genossene Wohltaten erinnerte, obwohl sie nur durch eine einzige unbedeutende Handlung bekundet wurde. Sie dachte oft, um wieviel leichter es ihr ums
Herz sein würde, wenn sie eine solche Freundin hätte, der sie ihren Kummer mitteilen könnte, und wie glücklich sie wäre, wenn sie nur jene Stimme hören könnte. Dann wünschte sie aber auch etwas Besseres und nicht so arm und gering zu sein, um ohne Furcht, zurückgestoßen zu werden, eine Ansprache wagen zu können; denn sie fühlte einen unermeßlichen Abstand zwischen sich und ihr und hatte keine Hoffnung, daß die junge Dame je wieder ihrer gedächte.
    Die Schulen hatten jetzt Ferien, und die jungen Damen waren nach Hause gefahren. Der Sage nach glänzte Miß Monflathers in London und richtete in den Herzen der Herren mittleren Alters Verheerungen an; aber niemand sagte etwas von Miß Edwards. War sie nach Hause gegangen, hatte sie überhaupt ein Heim, das sie aufsuchen konnte, oder befand sie sich noch

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