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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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diesem Wohnzimmerfenster hing in den Tagen, da Herr Sampson Braß noch dort wohnte, ein schlaffer, zerknüllter, verschossener grüner Vorhang, der durch den langen Dienst so fadenscheinig geworden war, daß er keineswes den Blick in die kleine, dunkle Stube hinderte, sondern im Gegenteil ein günstiges Mittel bot, durch das man sie ganz genau betrachten konnte. Es gab aber nicht viel zu schauen. Ein lahmer Tisch, auf dem etliche Bündel Papier zur Schau ausgestellt lagen, das vom vielen Herumtragen in der Tasche gelb und zerfetzt aussah, ein paar Schreibeböcke, die sich an den Seiten dieses gebrechlichen Möbelstückes gegenüberstanden, ein hinterlistiger, alter Lehnstuhl bei dem Kamine, dessen dürre Arme manchen Klienten umfaßt und ihn ganz auszupressen gehol
fen hatten, eine beim Trödler erstandene Perückenschachtel, jetzt das Depot für Vollmachtsformulare, Erklärungen und andere kleine Gesetzesformulare, einstmals der einzige Inhalt des Kopfes, der zu der Perücke gehörte, für die die Schachtel bestimmt war, wie sie nun den ganzen Inhalt der Schachtel selbst ausmachten, zwei oder drei Bücher über die juristische Praxis, ein Tintenfaß, eine Sandbüchse, ein abgenutzter Herdbesen, ein zu Fetzen getretener Teppich, der noch immer mit der Zähigkeit der Verzweiflung an seinen Stiften festhielt; dies nebst dem gelben Wandgetäfel, der rauchbraunen Decke, dem Staub und den Spinngeweben gehörte zu den augenfälligsten Dekorationen des Amtszimmers unseres Herrn Sampson Braß.
    Dies war jedoch ein bloßes Stilleben und von keiner größeren Wichtigkeit als die Tafel mit den Worten, ›Braß, Advokat‹ über der Tür und der am Klopfer baumelnde Zettel: ›Der erste Stock ist an einen ledigen Herrn zu vermieten‹. Das Geschäftslokal enthielt gewöhnlich zwei Vertreter der beseelten Natur, welche des weiteren in den Gang unserer Geschichte eingreifen sollen, weshalb sie auch an ihnen ein lebhaftes Interesse nehmen und sie mit besonderer Sorgfalt behandeln muß.
    Der eine davon war Herr Braß selbst, der bereits in diesen Blättern seine Aufwartung gemacht hat. Der andere versah die Dienste seines Schreibers, seines Gehilfen, seiner Haushälterin, seines Sekretärs, seines vertraulichen Mitverschwörers, seines Ratgebers, seines Intriganten, seines Rechnungenschraubers, und war keine geringere Person als Miß Braß, eine Art juristischer Amazone, von der der geneigte Leser wohl eine kurze Beschreibung wünschen wird.
    Miß Sally Braß also war eine Dame von ungefähr fünfunddreißig Jahren, von hoher, knöcherner Gestalt und entschlossenem Auftreten, das, wenn es auch die sanfteren Regungen der Liebe zurückscheuchte und das Heer der Bewunderer fern
hielt, jedenfalls ein Gefühl, das nahe an heilige Scheu grenzte, in der Brust jener männlichen Neulinge erweckte, die das Glück hatten, ihr nahe zu kommen. Ihr Gesicht hatte eine sprechende Ähnlichkeit mit dem ihres Bruders Sampson, ja die Ähnlichkeit zwischen beiden war so groß, daß es dem ältesten Freund der Familie schwergefallen sein würde, Sampson von Sally zu unterscheiden, falls es sich mit der jungfräulichen Bescheidenheit und der zarten Weiblichkeit der letzteren vertragen haben würde, in einer heitern Laune die Kleider ihres Bruders anzuziehen und sich neben ihn zu setzen; um so mehr, da sich auf der Oberlippe der Dame rötliche Andeutungen vorfanden, die man, wenn der Einbildungskraft durch die Veränderung der Kleidung nachgeholfen worden wäre, irrtümlicherweise recht wohl für einen Bart hätte halten können. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren aber diese nichts weiter als Augenwimpern am unrechten Platze, da die Augen der Miß Braß derartiger Ungehörigkeiten der Natur vollständig entbehrten. Die Gesichtsfarbe des Fräuleins war blaß, etwas schmutziggelb sozusagen, enthielt aber einen angenehmen Ton durch die gesunde Glut, welche die äußerste Spitze der lachenden Nase bedeckte. Ihre Stimme war außerordentlich eindringlich, tief, satt und ließ sich nicht leicht wieder vergessen, wenn man sie einmal gehört hatte. Ihr gewöhnlicher Anzug bestand aus einem grünen Kleid, dessen Farbe der des Fenstervorhanges ziemlich gleichkam, es war anliegend gearbeitet, reichte bis an die oberste Linie des Halses und wurde im Rücken mittels eines eigentümlich großen und massiven Knopfes geschlossen. Zweifelsohne im Gefühl, daß schlichte Einfachheit die Seele der Eleganz sei, trug Miß Braß weder eine Halskrause noch ein Tuch, das auf

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