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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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als der höchste Kirchturm, der jetzt sein stolzes Haupt über einem Gewühl von Schuld, Verbrechen und schrecklichen Krankheiten erhebt, um sie durch den Gegensatz zu verhöhnen. Jeden Tag predigen das Armenbeschäftigungshaus, das Hospital und das Gefängnis diese Wahrheit mit hohler Stimme und haben sie schon seit Jahren gepredigt. Es ist keine geringfügige Angelegenheit, kein Schrei des arbeitenden Pöbels, keine bloße Frage über Volkswohl und Volksbehaglichkeit, die an Mittwochabenden ausgepfiffen werden kann. Die Liebe zum Vaterlande wird in der Liebe zur Heimat geboren, und welches sind in der Stunde der Not die besten und treuesten Patrioten? Diejenigen, welche das Land verehren, weil dessen Wälder, dessen Ströme, dessen Erde und dessen Produkte ihr Eigentum sind, oder diejenigen, welche ihr Vaterland lieben, ohne daß sie einen Fußbreit Grundes in dem ganzen weiten Gebiete ihr eigen nennen können?
    Für Kit waren solche Fragen ein unbekannter Boden, aber er wußte, daß seine alte Heimat ein sehr ärmliches Häuschen war, mit dem sich die neue durchaus nicht vergleichen ließ; und doch sah er beständig mit dankbarer Freude und zärtlicher Besorgnis zurück, und oft schrieb er vierschrötig zusammengelegte Briefe an seine Mutter, denen manchmal ein Schilling, ein Achtzehnpencestück oder sonstige kleine Geschenke beigegeben waren, zu denen ihm Herrn Abels Freigebigkeit
half. Hin und wieder, wenn er gerade in der Nachbarschaft war, fand er Muße, bei den Seinigen vorzusprechen, und groß war dann die Freude und der Stolz von Kits Mutter, außerordentlich geräuschvoll die Lust des kleinen Jakob und des andern Brüderleins und herzlich die Glückwünsche des ganzen Hofes, auf dem man mit verwundertem Ohr den Berichten von Abel Cottage lauschte und doch nie genug von seinen Wundern und von seiner Herrlichkeit hören konnte.
    Obgleich Kit bei der alten Dame, dem alten Herrn, Herrn Abel und Barbara in hohen Gnaden stand, so ist doch gewiß, daß kein Glied der Familie eine so hervorragende Vorliebe für ihn an den Tag legte wie das eigensinnige Pony, das, sonst das störrigste und eigenwilligste Pony auf der Welt, in seinen Händen zum demütigsten und lenksamsten Tier wurde. Es ist zwar richtig, daß es um so ungebärdiger gegen jeden andern Menschen wurde, je fügsamer es bei Kit war, als sei es fest entschlossen, seinen Freund auf jede Gefahr hin in der Familie zu erhalten, und daß es sogar unter dem Zügel seines Lieblings zur größten Aufregung der alten Dame bisweilen ganz merkwürdige Sprünge und Kapriolen ausführte. Da jedoch Kit solche Manöver immer als den Ausdruck froher Laune oder als die einzige Möglichkeit bezeichnete, mit der das Tier seine Anhänglichkeit an seine Herrschaft zeigen könnte, so ließ sich Madame Garland selbst zu diesem Glauben bereden, in dem sie allmählich so bestärkt wurde, daß sie sich, wenn das Pony einmal in einer solchen Anwandlung die Chaise umwarf, zufrieden darein ergab, weil es das ja in der besten Absicht von der Welt getan hatte.
    Kit schwang sich in kurzer Zeit nicht nur zu einem wahren Wunder in allen Stallangelegenheiten empor, sondern bildete sich bald auch zu einem ganz leidlichen Gärtner aus, einem gewandten Burschen im Hause und einem unentbehrlichen
Diener des Herrn Abel, der ihm mit jedem Tage einen neuen Beweis seines Zutrauens und seiner Gewogenheit gab. Auch Herr Witherden, der Notar, war freundlich gegen ihn gesinnt, und sogar Herr Chuckster ließ sich bisweilen herab, ihm leicht mit dem Kopfe zuzunicken, ihn mit jener eigentümlichen Begrüßungsform zu beehren, die man ›schmissig‹ nennt, ihn durch irgendeinen andern, zugleich scherzhaften und gönnerhaften Gruß auszuzeichnen oder ihm durch eine sonstige, ebenso scherzhafte Begrüßung sein Wohlwollen zu erkennen zu geben.
    Eines Morgens fuhr Kit, wie es häufig zu geschehen pflegte, seinen jungen Herrn zum Hause des Notars und war eben im Begriff, das Pony nach einem nahe gelegenen Lohnstalle zu treiben, als derselbe Herr Chuckster aus der Bureautür auftauchte und »Oha!« rief, wobei er lange auf der ersten Silbe verweilte, um dem Herzen des Ponys einen fürchterlichen Schrecken einzujagen und einen Beweis für die Oberherrschaft des Menschen über die niederen Tiere zu geben.
    »Halt, du Schlüffel!« rief Herr Chuckster, indem er sich an Kit wandte; »man braucht dich drinnen.«
    »Es sollte mich wundern, wenn Herr Abel etwas vergessen hätte«, sagte Kit beim Absteigen.
    »Nur

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