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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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natürlichen Farbe seiner Haut bildete, noch bleicher erscheinen ließ, als er wirklich war. Daß er von Natur aus schon sehr bleich und farblos aussehen mußte, dafür sprachen seine hohlen Wangen, die scharfen Züge und eingesunkenen Augen wie auch ein gewisser Blick, der geduldiges Leiden verriet. Seine Stimme war hart, aber nicht roh; und obgleich sein durch
diese charakteristischen Züge gezeichnetes Gesicht außerdem noch von einem Büschel langen, dunkeln Haares beschattet wurde, hatte doch der Ausdruck desselben durchaus nichts Wildes.
    »Wie kamt ihr auf den Gedanken, hier euer Nachtlager zu suchen?« fragte er. »Oder wie kommt es«, fügte er, das Kind aufmerksamer betrachtend, hinzu, »daß ihr euch zu dieser nächtlichen Stunde nach einem Ruheplatz umseht?«
    »Wir sind durch unser Unglück dazu genötigt«, antwortete der Großvater.
    »Wißt Ihr auch«, sagte der Mann mit einem noch ernsteren Blick auf Nell, »wie naß sie ist und daß feuchte Straßen keine geeigneten Orte für sie sind?«
    »Ach, Gott steh mir bei, ich weiß es wohl«, entgegnete er; »aber was kann ich tun?«
    Der Mann sah wieder auf Nell und berührte sanft ihre Kleider, von denen der Regen in Strömen herunterlief.
    »Ich kann euch Wärme geben«, entgegnete er nach einer Pause, »aber sonst nichts. Meine Wohnung ist zwar dort drüben in jenem Hause«, er deutete in die Richtung des Torweges, aus dem er hervorgekommen war, »aber jedenfalls ist sie dort besser und sicherer aufgehoben als hier. Das Feuer ist freilich an einem unscheinbaren Ort, aber ihr könnt die Nacht ruhig neben ihm verbringen, wenn ihr euch mir anvertraut. Seht ihr jenes rote Licht?«
    Sie erhoben ihre Augen und gewahrten einen düstern Schein an dem nächtlichen Himmel, den trüben Widerschein eines fernen Feuers.
    »Es ist nicht weit«, sagte der Mann; »soll ich euch mit hinnehmen? Ihr wolltet auf kalten Ziegeln schlafen; ich kann euch ein Bett in warmer Asche geben, ein besseres habe ich nicht.«
    Die Antwort, die er in ihren Augen las, genügte ihm, und ohne eine weitere abzuwarten, nahm er Nell auf seine Arme und forderte den alten Mann auf, ihm zu folgen.
    Er trug sie sorgsam und so leicht, als wäre sie ein kleines Kind, und ging sicheren und raschen Schrittes durch einen Teil der Stadt, der wohl der ärmste und schlechteste sein mochte. Und ohne den überfließenden Gossen und den träufelnden Dachrinnen auszuweichen, nahm er ohne Rücksicht auf solche Beschwerlichkeiten schnurstracks seinen Weg. Sie mochten ungefähr eine Viertelstunde in tiefem Schweigen vorwärts geschritten sein und hatten den ihnen früher gewiesenen Schein in den finstern und engen Gassen bereits aus dem Gesicht verloren, als er plötzlich wieder auf sie fiel und sie sehen konnten, daß er aus dem hohen Schornstein eines dicht vor ihnen stehenden Gebäudes kam.
    »Dies ist der Ort«, sagte er, indem er an der Tür stehenblieb, um Nell niederzusetzen und ihre Hand zu ergreifen. »Fürchtet euch nicht, niemand wird euch hier ein Leid tun!«
    Man mußte viel Vertrauen haben, wenn man sich durch diese Versicherung verleiten ließ, einzutreten; und was unsere Wanderer im Innern sahen, war nicht geeignet, die Furcht und die Unruhe zu vermindern. Es war ein großes, hohes, durch eiserne Pfeiler gestütztes Gebäude, mit großen schwarzen Öffnungen in den oberen Teilen der Wände, um der Luft Zutritt zu gestatten, wo das Getöse schlagender Hämmer, das Brausen der Öfen, gemengt mit dem Zischen des rotglühenden Metalls, das ins Wasser getaucht wurde, und Hunderte merkwürdiger, unheimlicher Töne, die man sonst nirgends hören konnte, bis zum Dach hinauf widerhallten. An diesem düstern Orte trieben sich, Dämonen gleich, Massen von Menschen umher, die, bald heller, bald undeutlicher aus Flammen und Rauch auftauchend, gerötet und gequält von den hochauflo
dernden Feuern, ungeheure Werkzeuge schwangen, von denen ein einziger Fehlschlag den Schädel eines Arbeiters zerschmettert haben würde, und wie Riesen arbeiteten. Andere lagen, die Gesichter nach dem schwarzen Gewölbe aufwärts gekehrt, auf Haufen von Kohlen und Asche und schliefen oder ruhten von ihren Mühen aus. Wieder andere öffneten die weißglühenden Ofentüren und warfen Brennstoff in die Flammen, die ihm zischend und brüllend entgegenschossen und ihn wie Öl aufleckten. Und noch andere zogen auf dem Boden mit klirrendem Getöse große Platten glühenden Stahls hinter sich her, der eine unerträgliche Hitze ausstrahlte

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