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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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und in jenem dunkeln Licht erglänzte, das einem aus den Augen wilder Tiere so unheimlich entgegenleuchtet.
    Durch dieses verwirrende Schauspiel und diese betäubenden Töne brachte sie ihr Führer zu einem dunkeln Teile des Gebäudes, in dem Tag und Nacht ein Ofen brannte; so viel entnahmen sie wenigstens aus der Bewegung seiner Lippen, denn bisher hatten sie ihn nur sprechen sehen, nicht hören können. Der Mann, dem die Wache über das Feuer anvertraut und dessen Dienst jetzt zu Ende war, ließ sich mit Freuden durch den Beschützer unserer armen Wanderer ablösen, der für Nell einen kleinen Mantel auf einen Aschenhaufen breitete und ihr zeigte, wo sie ihre Oberkleider aufhängen und trocknen könnte; dann bedeutete er ihr und dem alten Manne, sich niederzulegen und ruhig zu schlafen. Er selbst setzte sich auf eine grobe Matte vor die Tür des Ofens, stützte das Kinn auf die Hände und betrachtete die Flamme, die durch die eisernen Spalten schien, oder sah der weißen Asche zu, wie sie in ihr glühendes, leuchtendes Grab hinunterfiel.
    Die Wärme ihres Lagers, so hart und armselig es auch war, zu der sich noch die große Übermüdung gesellte, ließ das Getöse bald sanfter in den müden Ohren des Kindes klingen, und
es dauerte nicht lange, da hatte sie Nell eingelullt. Der alte Mann hatte sich neben sie gestreckt, und ihren Arm um seinen Hals geschlungen, lag sie da und träumte.
    Es war noch Nacht, als sie erwachte, und sie wußte nicht, wie lange oder wie kurz sie geschlafen hatte. Sie fand jedoch, daß sie sowohl gegen die kalte Luft, die durch das Gebäude streichen mochte, als auch gegen die sengende Hitze des Ofens durch einige Arbeiteranzüge geschützt war, und als sie zu ihrem Freund aufblickte, bemerkte sie, daß er noch ganz in derselben Stellung dasaß, mit starrer Aufmerksamkeit das Feuer betrachtete und sich so unbeweglich verhielt, als ob er nicht einmal atme. Sie lag in einem halbwachen Zustand und sah die regungslose Figur so lange an, bis sie endlich fast fürchtete, er sei gestorben, während er dort saß. Sie stand daher auf, trat ihm näher und wagte es, ihm ins Ohr zu flüstern.
    Er bewegte sich, sah von ihr auf ihre Lagerstätte, als wolle er sich überzeugen, daß sie es wirklich sei, und blickte sie dann fragend an.
    »Ich fürchtete, daß Ihr krank seid«, sagte sie; »die andern Männer sind alle lustig, und Ihr seid gar so ruhig.«
    »Sie überlassen mich mir selbst«, versetzte er. »Sie kennen meine Stimmungen, und obgleich sie mich auslachen, so kümmere ich mich wenig darum. Sieh dorthin, das ist mein Freund!«
    »Das Feuer?« entgegnete das Kind.
    »Es lebt, seitdem ich atme«, lautete die Antwort des Mannes. »Wir sprechen und denken die ganze Nacht miteinander.«
    Das Kind sah ihn hastig und überrascht an; aber er hatte seinen Augen ihre frühere Richtung wiedergegeben und war wieder wie vorhin in Gedanken versunken.
    »Es erscheint mir wie ein Buch – das einzige Buch, das ich je lesen gelernt habe, und manche alte Geschichte finde ich darin aufgezeichnet. Es ist Musik; denn ich würde seine Stim
me unter tausend andern heraus erkennen, und in seinem Brüllen tönen noch viele andere Stimmen mit. Es hat auch seine Bilder. Du weißt nicht, wie viele wunderliche Gesichter und Erscheinungen ich in den glühroten Kohlen schaue. Jenes Feuer dort ist mein Gedenkbuch und zeigt mir mein ganzes Leben.«
    Nell beugte sich nieder, um seine Worte besser zu verstehen, und es fiel ihr auf, mit welch leuchtenden Augen er vor sich hin sann und weitersprach.
    »Ja«, sagte er mit einem matten Lächeln, »es war dasselbe, als ich als ganz kleines Kind hier herumkroch, bis ich einschlief. Damals bewachte es mein Vater.«
    »Hattet Ihr keine Mutter?« fragte das Kind.
    »Nein, sie war tot. Die Frauen haben hier schwere Arbeit. Man sagte mir, sie habe sich zu Tode gearbeitet, und wie man es mir damals sagte, so hat mir das Feuer hier stets dasselbe erzählt. Es muß wohl wahr sein; ich habe es stets geglaubt.«
    »Ihr wurdet also hier aufgezogen?« fragte das Kind.
    »Sommer und Winter«, versetzte er; »anfangs heimlich, und als sie mich endlich entdeckten, erlaubten sie ihm, mich hierzubehalten. Das Feuer hat mich also gepflegt – dasselbe Feuer. Es ist nie ausgegangen.«
    »Ihr habt es gern?« fragte das Kind.
    »Versteht sich. Er starb vor dem Feuer. Ich sah ihn niederfallen, gerade dort, wo jetzt jene Asche brennt, und soviel ich weiß, wunderte ich mich, warum es ihm nicht

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