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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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müssen, damit man unsere Geschichte nicht das Vergehen zur Last lege, sie sei treulos und lasse ihre handelnden Personen gern in ungewissen und bedenklichen Lagen stecken – Kits Mutter also und der ledige Herr flogen in der vierspännigen Postkutsche, die wir vor des Notars Hause ha
ben abfahren sehen, dahin, hatten bald die Stadt hinter sich und ließen die Funken auf den Kieseln der breiten Landstraße sprühen. Die gute Frau, die durch die Ungewöhnlichkeit der Situation, in der sie sich befand, nicht wenig verlegen war und auch von gewissen mütterlichen Befürchtungen gequält wurde, daß vielleicht der kleine Jakob oder das Büblein oder vielleicht beide ins Feuer gefallen, die Treppe hinuntergestürzt, hinter Türen geklemmt worden wären oder sich bei einem Versuche, den Durst aus der Röhre des kochenden Teekessels zu löschen, die Kehlen verbrannt hätten, verharrte in einem unruhigen Schweigen; und wenn sie durch das Wagenfenster den Augen der Schlagbaumwärter, der Omnibuskutscher und anderer Leute begegnete, fühlte sie sich in ihrer neuen Würde wie ein Leidtragender bei einem Begräbnis, der, nicht sehr betrübt über den Verlust des Verstorbenen, aus seinem Leichenwagen heraus seine Alltagsfreunde erkennt, aber gezwungen ist, geziemende Feierlichkeit zu bewahren, und tun muß, als sei er gegen alle Äußerlichkeiten gleichgültig.
    Um übrigens gegen die Gesellschaft des ledigen Herrn gleichgültig zu bleiben, hätte man notwendig mit Nerven von Stahl begabt sein müssen. Nie führten Chaise und Pferde einen so rastlosen Mann, wie er war. Er blieb nicht zwei Minuten lang in der gleichen Stellung, stieß ohne Unterlaß mit Armen und Beinen um sich, zog die Schiebefenster auf, ließ sie dann ungestüm wieder herunter, oder steckte den Kopf zur einen Seite des Schlages hinaus, um ihn alsbald wieder zurückzuziehen und zu der andern hinauszubeugen. Auch führte er in seiner Tasche ein Feuerzeug von geheimnisvoller und unbekannter Konstruktion, und Kits Mutter durfte nur die Augen schließen, so ging es sicherlich ritsch, ratsch, tzschih, und der ledige Herr zog bei der Lichtflamme seine Uhr zu Rate und ließ die Funken auf das Stroh hinunterfallen, als ob es ganz unmöglich
wäre, daß er samt Kits Mutter lebendig gebraten würde, bevor noch die Postillione ihre Pferde zügeln konnten. Sooft sie anhielten, um die Pferde zu wechseln, war er auch schon draußen, sprang, ohne den Tritt hinunterzulassen, aus dem Wagen, fuhr wie eine brennende Rakete in dem Wirtshaushof umher, zog bei dem Lampenlicht seine Uhr heraus und vergaß, auf sie zu sehen, ehe er sie wieder einsteckte, kurz, er beging so viele Sonderbarkeiten, daß Kits Mutter sich eigentlich vor ihm fürchtete. Waren dann die Pferde wieder eingespannt, so hüpfte er wie ein Harlekin wieder herein, und ehe sie eine Meile zurückgelegt hatten, kamen schon wieder die Uhr und das Feuerzeug heraus, und Kits Mutter wurde wieder ganz munter und hatte gar keine Hoffnung, sich bis zur nächsten Station einem kleinen Schläfchen hingeben zu können.
    »Fühlen Sie sich auch behaglich?« konnte dann der ledige Herr nach einer oder der anderen dieser Großtaten fragen, wobei er sich rasch an seine Begleiterin wandte.
    »Vollkommen, Sir; ich danke Ihnen.«
    »Sicher? Friert Sie nicht? Kommt es Ihnen nicht fröstelig vor?«
    »Es ist freilich ein bißchen kühl, Sir«, lautete dann die Antwort von Kits Mutter.
    »Dacht ichs ja!« rief der ledige Herr und ließ dabei eines der Vorderfenster herunter. »Sie braucht etwas Grog. Das ist ja ganz natürlich. Wie konnte ich das vergessen! Holla, Schwager! Am nächsten Wirtshaus wird haltgemacht; ich muß ein Glas heißen Grog haben.«
    Kits Mutter beteuerte vergeblich, daß sie derartige Stärkungen nicht brauche. Der ledige Herr war unerbittlich, und sooft er infolge aller möglichen und unmöglichen Arten von Rastlosigkeit total erschöpft war, fiel ihm wie Amen im Gebet ein, daß Kits Mutter einen Grog brauche.
    So reisten sie ungefähr bis Mitternacht fort und hielten dann an, um ein Abendessen einzunehmen, für das der ledige Herr alles, was die Speisekammer bot, auftragen ließ; und weil Kits Mutter nicht von allem gleichzeitig aß und überhaupt auch nicht alles ganz verzehrte, so setzte er es sich in den Kopf, daß sie krank sein müsse.
    »Sie sind unwohl!« sagte der ledige Herr, dessen einzige Beschäftigung in einem rastlosen Auf-und-ab-Spazieren bestand. »Ich sehe jetzt, woran der Fehler liegt, Ma'am. Sie

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