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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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stämmige Dame in Weiß kam zur Tür gelaufen, stützte sich auf den Arm des Bräutigams und rief: »Wo ist sie? Was bringen Sie mir für Neuigkeiten? Was ist aus ihr geworden?«
    Der ledige Herr trat verblüfft zurück und sah mit Blicken,
in denen Furcht, Enttäuschung und Zweifel miteinander kämpften, auf das Gesicht der ehemaligen Madame Jarley, die sich in der Frühe mit dem philosophischen George verehelicht hatte, zur ewigen Wut und Verzweiflung Herrn Slums, des Poeten. Endlich stotterte er:
    »Ich frage Sie , wo sie ist. Wie soll ich Sie verstehen?«
    »Ach, Sir!« rief die Braut, »wenn Sie hierherkommen, um ihr etwas Gutes zu erweisen, warum haben Sie es nicht eine Woche früher getan?«
    »Sie ist doch nicht – nicht tot?« entgegnete der Angeredete erblassend.
    »Nein, so schlimm ists wohl nicht.«
    »Gott sei Dank!« rief der ledige Herr mit matter Stimme. »Lassen Sie mich eintreten.«
    Sie traten zurück, um ihn einzulassen, und schlossen hinter ihm die Tür.
    »Meine guten Leute«, sagte er, sich an das neuvermählte Paar wendend, »ihr seht in mir einen Mann, dem selbst das Leben nicht teurer ist als die zwei Personen, die er sucht. Die beiden würden mich zwar nicht kennen, meine Züge sind ihnen fremd; aber wenn sie hier sind, oder auch nur eins von ihnen, so bitte ich, nehmt diese gute Frau mit euch und führt sie zuerst zu ihnen, denn sie ist beiden bekannt. Wolltet ihr die Gesuchten aus irgendeiner falschen Rücksicht oder aus Angst um sie verleugnen, so mögt ihr meine Absichten nach der Art beurteilen, wie sie diese Frau als ihre alte, bescheidene Freundin aufnehmen werden.«
    »Ich habe es immer gesagt!« rief die Braut. »Ich wußte ja, daß es kein Kind gewöhnlicher Herkunft sei. Aber leider, Sir, steht es nicht in unserer Macht, Ihnen zu dienen, denn wir haben schon alles versucht, was in unseren Kräften stand, aber es war ganz vergebens.«
    Hierauf erzählten sie ihm unumwunden, was sie über Nell und ihren Großvater wußten, von ihrem ersten Zusammentreffen an bis zu dem Augenblick ihres plötzlichen Verschwindens; sie fügten der Wahrheit gemäß hinzu, daß sie sich alle nur erdenkliche Mühe gegeben hätten, ihr Spur aufzufinden, ohne zu einem Resultat zu gelangen, und sagten, sie seien anfangs sehr besorgt gewesen, sowohl um das Befinden der beiden als auch wegen des Verdachtes, der eines Tages auf sie fallen könnte, weil die zwei so plötzlich vom Schauplatz verschwunden waren. Sie betonten die Geistesschwäche des alten Mannes, die Unruhe, die das Kind immer an den Tag gelegt hatte, wenn er abwesend war, die Gesellschaft, in der man ihn immer vermutete, und die stets sich steigernde Niedergeschlagenheit, die sich der kleinen Nell nach und nach bemächtigt und die sowohl ihre Gesundheit als ihren Frohsinn zerstört hatte. Ob sie den alten Mann bei Nacht vermißt habe und ihm, weil sie entweder um seinen Aufenthalt wußte oder ihn erriet, nachgegangen sei oder ob sie miteinander das Haus verlassen hätten, hierüber konnten sie durchaus keine Auskunft erteilen. Sie hielten es jedoch für ganz sicher, daß nur wenig Aussicht vorhanden sei, wieder etwas von ihnen zu hören, und daß man auf ihre Rückkehr keinesfalls hoffen dürfte, mochte nun der Vorschlag zur Flucht von dem alten Manne oder dem Kinde ausgegangen sein.
    Auf all dies horchte der ledige Herr mit der Miene eines von Gram und Enttäuschung niedergedrückten Mannes. Er vergoß Tränen, als sie von dem Großvater sprachen, und schien aufs tiefste betrübt.
    Um diesen Teil unserer Erzählung nicht in die Länge zu ziehen, sondern die Geschichte in wenige Worte zu fassen, wollen wir nur ganz kurz sagen, daß der ledige Herr, noch ehe das Gespräch zu Ende kam, genügend von der Wahrheit des
Berichtes überzeugt schien und daß er versuchte, der Braut und dem Bräutigam ein Zeichen seiner Erkenntlichkeit für ihre Güte gegen das verlassene Kind aufzudrängen, dessen Annahme jedoch aufs entschiedenste abgelehnt wurde. Endlich fuhr das glückliche Paar in seinem Wanderwagen fort, um die Flitterwochen auf dem Lande zu verbringen, während der ledige Herr und Kits Mutter mit betrübten Gesichtern bei ihrer eigenen Postkutsche zurückblieben.
    »Wo sollen wir jetzt hinfahren, Sir?« fragte der Postillion.
    »Ei, so fahrt meinetwegen zum …«
    Der ledige Herr hatte wohl nicht im Sinne, das Wörtchen ›Wirtshaus‹ beizufügen, tat es aber doch um Kits Mutter willen; und so ging es denn zum Wirtshause.
    Es hatte sich schnell

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