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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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wie träumerische Musik erklingen, die die Sinne gefangennehmen, und das langsame Erwachen, wenn man sich dabei ertappt, daß man durch den halboffenen, luftigen Vorhang vor sich hoch hinaufblickt
zu dem kalten, klaren Himmel mit seinen Myriaden Sternen und herab auf die Wagenlaterne, die, dem Irrwisch der Sümpfe und Moore gleich, auf und ab tanzt, und seitwärts auf die dunkeln, grimmig aussehenden Bäume und vor sich auf die lange, öde Straße, die immer höher steigt, bis sie plötzlich an einer scharfen Kante haltmacht, als ob sie hier zu Ende und jenseits alles Himmel wäre, und das Rasten vor einem Wirtshaus zum Füttern, das Aussteigen, bei dem man liebevoll unterstützt wird, der Eintritt in eine helle Stube, in der das Feuer lustig brennt, daß man blinzeln muß und auf die angenehmste Weise erinnert wird, daß die Nacht kalt war, und man sich diese, um die Behaglichkeit zu erhöhen, noch kälter vorstellt! – Welch eine köstliche Reise war doch diese Wagenfahrt!
    Dann das Weiterfahren, anfangs so frisch und bald nachher so schläfrig. Das Erwachen aus einem gesunden Schläfchen, wenn die Post vorbeisaust wie ein Landstraßenkomet mit flimmernden Laternen, klappernden Hufen und man sich dunkel an einen Kondukteur erinnert, der hinten steht, um seine Füße warm zu halten, und an einen Herrn in einer Pelzmütze, der seine Augen öffnet und in blöder Verwirrung umherschaut; das Anhalten an dem Schlagbaum, dessen Wärter schon zu Bett ist, und das Klopfen an dem Häuschen, bis er mit einem durch die Betten erstickten Schrei aus dem kleinen Stübchen oben, in dem das matte Licht brennt, antwortet und dann alsbald, die Nachtmütze auf dem Kopfe, frierend, herunterkommt, um den Schlagbaum zu öffnen, und alle bei Nacht durchfahrenden Wagen ins Pfefferland verwünscht. Der eiskalte Augenblick vor Sonnenaufgang, der ferne Lichtstreif, der sich mehr und mehr erweitert und verbreitet, von Grau in Weiß, von Weiß in Gelb, von Gelb ins brennendste Rot übergehend, der Tag mit seiner prachtvollen Lebensfreudigkeit, Menschen und Pferde an dem Pflug, Vögel in den Bäumen und Hecken, die
von Knaben auf einsamen Feldern mit Klappern verscheucht werden. Die Ankunft in einer Stadt – geschäftige Leute auf dem Markte; leichte Karren und Chaisen rund um den Wirtshaushof; Krämer, die vor ihren Türen stehen; Männer, die den Käufern ihre Pferde vorreiten; grunzende Schweine, die in der Entfernung im Kot wühlen, sich von ihren langen Stricken losreißen, in reinliche Apothekerläden laufen, und von den Lehrlingen mit Besen hinausgejagt werden; die Nachtpost, die ihre Pferde wechselt, und mürrische, erfrorene, häßlich eingemummte, unzufriedene Passagiere, denen der Bart in einer Nacht gewachsen ist, als stände er schon drei Monate, der Kutscher dagegen frisch wie aus dem Schächtelchen und geradezu sehr schön durch den Gegensatz – so viel Geschäftigkeit, so viele Dinge in Bewegung, so viel Abwechslung in allem – wann gab es je eine so vergnügliche Reise, als jene Reise in dem Frachtwagen?
    Bisweilen ging Nell eine oder zwei Meilen zu Fuß, während ihr Großvater fuhr, und hin und wieder bewog sie auch den Schulmeister, ihren Platz einzunehmen und ein wenig auszuruhen. So ging es dann ganz lustig weiter, bis sie in eine große Stadt gelangten, in der der Fuhrmann seinen Wagen einstellte, um zu übernachten. Sie kamen an einer großen Kirche vorbei, und in den Straßen waren einige alte Häuser, aus einer Art Lehm oder Gipsmörtel gebaut, die nach allen Seiten kreuz und quer von schwarzen Balken durchzogen waren, was ihnen ein merkwürdig altertümliches Ansehen gab. Auch die niedrigen Türen bildeten Spitzbogen, und einige hatten eichene Portale mit wunderlichen Bänken, auf denen die früheren Bewohner an Sommerabenden zu sitzen pflegten. Die Fenster bestanden aus kleinen, vergitterten, rautenförmigen Scheibchen und schienen auf die Vorübergehenden herabzublinzeln, als ob sie kurzsichtig wären.
    Unsere Reisenden waren schon eine geraume Weile aus dem Bereich des Rauches und der Öfen gekommen, denn nur hin und wieder trafen sie noch auf ein einzelnes Fabrikgebäude im freien Felde, das den Boden um sich her wie ein Vulkan verödete. Sobald sie die Stadt hinter sich hatten, kamen sie wieder ins offene Land und näherten sich jetzt mehr und mehr ihrem Bestimmungsort.
    Dieser war jedoch keineswegs so nahe, daß sie nicht noch eine zweite Nacht unterwegs hätten zubringen müssen. Freilich wäre dies nicht

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