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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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sind unwohl!«
    »Sie sind allzu gütig, Sir; aber mir ist wirklich ganz wohl.«
    »Ich weiß, Ihnen ist nicht wohl. Ich lasse mirs nicht nehmen. Schleppe ich da diese arme Frau aus dem Schoße ihrer Familie, ohne ihr eine Minute Zeit zu lassen, und nun wird sie vor meinen Augen immer schwächer und elender. Ich bin ein feiner Bursche! Wie viele Kinder haben Sie, Ma'am?«
    »Zwei, Sir, außer Kit.«
    »Knaben, Ma'am?«
    »Ja, Sir.«
    »Sind sie getauft?«
    »Noch nicht in gehöriger Form, Sir.«
    »Ich will Pate sein für beide. Bitte, vergessen Sie das nicht, Ma'am. Ich glaube, es würde gut sein, wenn Sie etwas Glühwein nähmen.«
    »Ich könnte in der Tat keinen Tropfen anrühren, Sir.«
    »Sie müssen!« sagte der ledige Herr. »Ich sehe, Sie haben es nötig. Ich hätte schon früher daran denken sollen.«
    Sofort flog der ledige Herr zur Glocke und rief so ungestüm nach Glühwein, als brauchte man ihn augenblicklich, um eine aus dem Wasser gezogene scheintote Person wieder zu sich zu bringen; dann mußte Kits Mutter einen Kelch dieses Getränks so heiß hinunterschlucken, daß ihr die Tränen über die Wangen rannen; und dann transportierte er sie eiligst
wieder in die Kutsche, in der sie, vielleicht infolge dieses angenehmen Beruhigungsmittels, bald gegen sein rastloses Treiben unempfindlich wurde und in tiefen Schlaf verfiel. Auch waren die glücklichen Wirkungen dieses Arzneimittels nicht von rasch vorübergehender Natur; denn obgleich die Entfernung größer war und die Reise sich länger hinauszog, als der ledige Herr vermutet hatte, so erwachte sie doch erst, als es bereits heller Tag war und sie über das Pflaster einer Stadt holperten.
    »Dies ist der Ort!« rief der ledige Herr, indem er alle Fenster herabließ. »Fahrt zu dem Wachsfigurenkabinett!«
    Der Postillion auf dem Leitgaul berührte seinen Hut und spornte sein Pferd, damit sie schneidig in die Stadt einführen, worauf alle vier einen hübschen Galopp anschlugen und durch die Straßen dahinsausten, daß die guten Leute verwundert an Türen und Fenster traten und man nichts von den bescheidenen Klängen der Stadtuhren hören konnte, die eben halb neun schlugen. Sie fuhren auf eine Tür zu, vor der eine Menge Menschen versammelt war, und hielten dort an.
    »Was ist das?« rief der ledige Herr, indem er sich zum Wagenfenster hinausbeugte; »was gibts denn hier?«
    »Eine Hochzeit! Eine Hochzeit!« antworteten mehrere Stimmen. »Hurra!«
    Der ledige Herr stieg, einigermaßen verblüfft, als er bemerkte, daß er den Mittelpunkt dieses lauten Gedränges bildete, mit Hilfe eines der Postillione aus und reichte Kits Mutter die Hand. Als der Pöbelhaufen ihrer ansichtig wurde, rief er: »Da gibts noch eine Hochzeit!«, und dann ging ein Gebrülle los und alles hüpfte vor Freude.
    »Die Welt ist, glaube ich, toll geworden«, sagte der ledige Herr, als er sich mit seiner angeblichen Braut durch den Haufen drängte. »Macht ein wenig Platz und laßt mich anklopfen!«
    Alles, was Lärm macht, ist dem Pöbel willkommen. Ein
paar Dutzend schmutziger Hände erhoben sich im Augenblick, um für ihn zu klopfen, und selten hat wohl ein Türklopfer von gleicher Stärke betäubendere Töne hervorgebracht als speziell diese Vorrichtung bei ebendieser Gelegenheit. Nachdem der Haufe diesen freundlichen Dienst geleistet hatte, zog er sich bescheiden ein wenig zurück, indem er es herzlich gern dem ledigen Herrn überließ, die Folgen allein zu tragen.
    »Nun, Sir, was wollen Sie?« fragte ein Mann mit einer großen weißen Schleife im Knopfloch, als er die Tür öffnete und mit einer sehr stoischen Miene dem ledigen Herrn entgegentrat.
    »Wer hat hier geheiratet, mein Freund?« fragte der ledige Herr.
    »Ich.«
    »Sie! Und wen, in des Teufels Namen?«
    »Welch ein Recht haben Sie zu fragen«, entgegnete der Bräutigam, den andern vom Wirbel bis zur Zehe messend.
    »Welch ein Recht?« rief der ledige Herr, indem er den Arm von Kits Mutter dichter durch den seinigen zog, denn die gute Frau war augenscheinlich im Begriff, davonzulaufen. »Ein Recht, von dem Sie sich wenig träumen lassen! Ihr guten Leute! ich rufe euch zu Zeugen auf, wenn dieser Bursche da eine Minderjährige geheiratet hat – doch nein, nein, das kann nicht sein! Wo ist das Kind, das Ihr hier habt, mein guter Mann? Nell heißt sie – wo ist sie?«
    Sobald er diese Frage vorgebracht hatte, die Kits Mutter wiederholte, stieß jemand in einem Zimmer in der Nähe der Tür einen Schrei aus, und eine

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