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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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unbedingt nötig gewesen; aber als der Schulmeister in die Nähe seines Dorfes kam, bemächtigte sich seiner eine solche Unruhe, da er an seine Küsterwürde dachte, daß er seinen Einzug nicht in staubigen Schuhen und Kleidern, die von der Reise gelitten hatte, feiern wollte. Es war ein schöner, klarer Herbstmorgen, als sie auf dem Schauplatz seiner Rangerhöhung anlangten; sie blieben stehen, um dessen Schönheiten zu betrachten.
    »Sieh, da ist die Kirche!« rief der entzückte Schulmeister mit gedämpfter Stimme, »und ich wollte darauf schwören, daß jenes alte Gebäude dicht daneben das Schulhaus ist. Fünfunddreißig Pfund jährlich an diesem schönen Orte!«
    Sie bewunderten alles: das altersgraue Portal, die mit Steinkreuzen versehenen Fenster, die ehrwürdigen Grabsteine, durch die der grüne Kirchhof wie gesprenkelt aussah, den alten Turm und sogar den Wetterhahn; die gebräunten Strohdächer der Hütten und Scheunen, die zwischen den Bäumen hervorguckten, das Flüßchen, das bei der fernen Wassermühle wirbelte, und das entlegene blaue Wallesergebirge. Nach einem solchen Orte hatte sich Nell in den dumpfen, dunkeln, armseligen Löchern der Arbeit gesehnt. Auf ihrem Bette von Asche und selbst während der schmutzigen Greuelszenen, durch die sie sich den Weg bahnen mußte, hatten ihr Traumbilder von sol
chen Gegenden – allerdings schöne, aber nicht schönere als diese süße Wirklichkeit – vor Augen geschwebt. Freilich schienen sie in trübe, weite Ferne zu entschwinden, je schwächer die Aussicht war, sie je schauen zu können; aber je mehr sie zurücktraten, desto mehr liebte sie sie, und desto mehr schmachtete sie nach ihnen.
    »Ich muß euch auf etliche Minuten irgendwo unterbringen«, sagte der Schulmeister, der endlich das selige Schweigen brach. »Ihr könnt euch denken, daß ich einen Brief vorzuzeigen und Nachfragen anzustellen habe. Wo soll ich euch hinführen? In das kleine Wirtshaus dort?«
    »Oh, lassen Sie uns hier warten!« versetzte Nell. »Die Kirchentür ist offen. Wir wollen uns unter das Portal setzen, bis Sie wieder zurückkommen.«
    »Nun, der Platz ist auch gut«, sagte der Schulmeister, indem er sie zu ihm hinführte, dort sein Felleisen abwarf und es auf die Steinbank legte. »Verlaßt euch drauf, ich komme mit guten Nachrichten zurück und werde nicht lange ausbleiben!«
    Der glückliche Schulmeister zog nun ein Paar nagelneue Handschuhe an, die er auf dem ganzen Wege hübsch mit Papier umwickelt in der Tasche getragen hatte, und eilte glühend vor Aufregung weg.
    Nell sah ihm von dem Portal aus nach, bis ihn das Laub der Bäume ihren Blicken verbarg. Dann ging sie leise hinaus auf den alten Kirchhof; er war so feierlich ruhig, daß jedes Rauschen ihres Kleides auf den abgefallenen Blättern, die den Weg bedeckten und ihre Fußtritte dämpften, wie eine Entweihung des hehren Schweigens schien. Es war ein sehr alter, gespenstischer Ort. Die Kirche war vor vielen Jahrhunderten gebaut worden und hatte einmal zu einem Kloster gehört; denn Ruinen von Spitzbogen, Überreste von Erkerfenstern und Bruchstücke von geschwärzten Mauern standen noch, während an
dere Teile des alten Gebäudes, die zerbröckelt und heruntergefallen waren, sich mit der Kirchhofserde vermischten und ganz bewachsen waren, als forderten auch sie ihren Begräbnisplatz und suchten ihren Staub mit der Menschenasche zu vermengen. Hart neben diesen Grabsteinen längstvergangener Jahre befanden sich zwei, einen Teil der Ruine bildende Wohnungen, die man in neueren Zeiten bewohnbar zu machen versucht hatte; ihre Fenster und ihre eichenen Türen waren jedoch eingesunken, und die Häuser selbst, öde und leer, gingen ihrem Verfall entgegen.
    Auf diese Wohnungen war die Aufmerksamkeit der Kleinen ausschließlich gerichtet. Sie wußte nicht, warum. Die Kirche, die Ruinen und die alten Gräber hatten mindestens die gleichen Ansprüche auf das Interesse eines Fremden; aber von dem ersten Augenblicke an, als sie diese Wohnstätten gewahrte, konnte sie auf nichts anderes mehr achten. Selbst nachdem sie um die Kirchhofsmauer herumgegangen und wieder zu dem Portal zurückgekommen war, unter dem sie in gedankenvollem Brüten ihren Freund erwartete, wählte sie ihre Stellung so, daß sie die alten Heimstätten sehen konnte, und es kam ihr vor, als würden ihre Blicke wie durch einen Zauber an den Ort gefesselt.

Siebenundvierzigstes Kapitel
    Kits Mutter und der ledige Herr, deren Fährte wir eiligen Fußes verfolgen

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