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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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seine Augen nur zwei oder drei Zoll von Kits Gesicht entfernt waren, faßte ihn fest ins Auge, zog sich ein wenig zurück, ohne seinen Blick abzuwenden, trat wieder näher und wieder zurück und wiederholte dies einigemal wie ein Kopf in einer Zauberlaterne. Kit pflanzte sich fest auf, als erwarte er einen unmittelbaren Angriff; da er jedoch fand, daß es bei dem Gebärdenspiel blieb, so schlug er ihm ein Schnippchen und ging weiter. Seine Mutter zog ihn, so schnell sie konnte, mit sich fort, sah aber alle Augenblicke, trotz der Neuigkeiten, die ihr Erstgeborener von dem kleinen Jakob und dem Nesthäkchen erzählte, ängstlich über die Schulter zurück, um zu wissen, ob ihr Quilp folge.

Neunundvierzigstes Kapitel
    Kits Mutter hätte sich die Mühe sparen können, so oft zurückzuschauen, denn nichts lag Herrn Quilps Absicht ferner, als sie und ihren Sohn zu verfolgen oder den Streit, in dem sie sich getrennt hatten, zu erneuern. Er ging seines Weges, pfiff von Zeit zu Zeit ein Liedchen vor sich hin und trabte mit ganz ruhigem und gelassenem Gesicht vergnügt nach Hause. Auf seinem Wege dahin unterhielt er sich damit, daß er sich die Angst und den Schrecken der Frau Quilp ausmalte, die zweifellos, da sie drei ganze Tage und zwei Nächte nichts von ihm gehört und auch von seiner Abreise keine Kunde erhalten hatte, momentan halb wahnsinnig war und alle Augenblicke vor Angst und Kummer in Ohnmacht fiel.
    Diese belustigende Wahrscheinlichkeit war dem Humor des
Zwerges so angemessen und machte ihm so ausnehmend viel Vergnügen, daß er auf seinem Nachhauseweg lachte, bis ihm die Tränen über die Backen liefen; und mehr als einmal, wenn er sich gerade in einem Nebengäßchen befand, machte er seinem Entzücken durch einen schrillen Ausruf Luft, der die einsamen Wanderer zu Tode erschreckte, die zufällig vor ihm gingen und sich dann sehr wunderten, wenn sie nur die kleine Gestalt erblickten. Und dies erhöhte seine Heiterkeit und machte ihn ungemein lustig und fröhlich.
    In dieser glücklichen Gemütsstimmung erreichte Herr Quilp Tower-Hill; und als er zu dem Fenster seines eigenen Wohnzimmers hinaufsah, glaubte er, mehr Licht erspähen zu können, als in einem Hause der Trauer üblich ist. Beim Nähertreten hörte sein aufmerksames Ohr mehrere Stimmen in angelegentlicher Unterhaltung, unter denen er nicht nur die seines Weibes und seiner Schwiegermutter, sondern auch Männerstimmen unterscheiden konnte.
    »Ha!« rief der eifersüchtige Zwerg; »was ist das? Nimmt sie in meiner Abwesenheit solche Besuche an?«
    Ein gedämpftes Husten von oben war die Antwort. Er fühlte in der Tasche nach seinem Hausschlüssel; aber er hatte ihn vergessen. Es blieb also kein anderer Ausweg, als an die Tür zu klopfen.
    »Ein Licht im Hausflur«, sagte Quilp, durch das Schlüsselloch schauend. »Ein ganz leises Pochen – und mit Ihrer Erlaubnis, Madame, werde ich Sie ganz unversehens beschleichen. Warte!«
    Ein ganz leises und sanftes Klopfen blieb unbeantwortet. Auf eine zweite, kaum stärkere Anwendung des Klopfers wurde jedoch die Tür sachte von dem Jungen von der Werft geöffnet, dem Quilp augenblicklich mit der einen Hand den Mund stopfte, während er ihn mit der andern auf die Straße hinauszog.
    »Ihr erwürgt mich, Herr«, keuchte der Junge. »Auslassen, sag ich!«
    »Wer ist oben, du Schlingel?« flüsterte Quilp. »Sage mirs! Und sprich leise, sonst erdroßle ich dich im Ernst.«
    Der Knabe konnte nur nach dem Fenster deuten und mit einem erstickten Kichern antworten, in dem sich eine so ungemeine Heiterkeit verriet, daß Quilp ihn abermals an der Kehle packte und vielleicht seine Drohung ausgeführt oder wenigstens ziemliche Fortschritte in der Ausführung gemacht haben würde, wenn der Junge nicht behend seiner Hand entwischt wäre und sich hinter den nächsten Pfosten verschanzt hätte. Hier, nach einigen fruchtlosen Bemühungen, ihn an den Haaren hervorzuziehen, mußte sich sein Herr zu Unterhandlungen herbeilassen.
    »Willst du mir antworten?« sagte Quilp. »Was ist oben los?«
    »Ihr wollt einen ja nicht sprechen lassen«, versetzte der Knabe. »Sie – ha ha ha! – sie halten Euch – sie halten Euch für tot. Ha ha ha!«
    »Tot?« rief Quilp, indem er selbst in ein grimmiges Lachen ausbrach. »Nein. Wirklich? Wirklich, du Hund?«
    »Sie glauben, Ihr wäret – Ihr wäret ertrunken«, entgegnete der Knabe, der einen starken Anflug von dem boshaften Wesen seines Herrn hatte. »Man hat Euch zuletzt am Rande der Werft

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