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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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gesehen; nun glauben sie, Ihr wäret hinuntergepurzelt. Ha ha!«
    Die Aussicht, unter so köstlichen Umständen den Spion zu spielen und sie alle zu enttäuschen, indem er, der Totgeglaubte, lustig zu ihnen hineinspazierte, war für Quilp entzückender als der größte Glücksfall, der ihm hätte begegnen können. Er fühlte sich nicht weniger zum Lachen gereizt als sein hoffnungsvoller Gehilfe, und so standen sie einige Sekunden grinsend, keuchend und mit ihren Köpfen wackelnd zu beiden
Seiten des Pfostens wie zwei unvergleichliche chinesische Pagoden.
    »Kein Wort«, flüsterte Quilp, indem er sich auf den Zehenspitzen der Tür näherte, »keinen Laut, wäre es auch nur das Krachen einer Diele oder das Stolpern gegen ein Spinngewebe. Ertrunken, he, Madame Quilp? Ertrunken?«
    Mit diesen Worten blies er das Licht aus, streifte seine Schuhe ab, kroch die Treppe hinauf und ließ seinen jungen Freund auf der Straße, der in ekstatischem Entzücken auf dem Pflaster Purzelbäume schlug.
    Da die Schlafzimmertür neben der Treppe unverschlossen war, so schlüpfte Herr Quilp hinein und pflanzte sich hinter der Tür auf, welche in das Wohnzimmer führte. Sie stand etwas offen, um der Luft einen Durchzug zu gestatten, und war mit einem sehr bequemen Spalt versehen, den er oft zum Spionieren benutzt und zu diesem Zwecke mit seinem Taschenmesser erweitert hatte; und so war es ihm möglich, nicht nur zu hören, sondern auch deutlich zu sehen, was drinnen vorging. Sein Auge an die genannte Ritze legend, bemerkte er Herrn Braß, der an dem Tische saß, vor ihm Tinte, Feder und Papier, auch die Rumflasche – seine eigene Rumflasche, seinen eigenen, vortrefflichen Jamaika – und in leicht erreichbarer Entfernung heißes Wasser, duftende Zitronen, Stückchen weißen Zuckers und was sonst noch dazugehörte. Aus diesem auserlesenen Material hatte sich Sampson, der ihren Ansprüchen auf seine Aufmerksamkeit gegenüber nicht unempfindlich war, ein mächtiges Glas rauchendheißen Punsches gemischt, den er in demselben Augenblick mit einem Teelöffel umrührte und mit Blicken betrachtete, in denen die erkünstelte sentimentale Trauer nur schwach gegen das Gefühl froher Behaglichkeit ankämpfte. An demselben Tisch saß auch mit aufgestemmten Ellbogen Frau Jiniwin, die nicht länger verbrecherischerweise anderer
Leute Punsch mit dem Teelöffel schlürfte, sondern tüchtige Schlucke aus einem eigenen Glase nahm; während ihre Tochter, nicht gerade in Sack und Asche trauernd, aber doch ein sehr anständiges, gebührend bekümmertes Äußeres bewahrend, in einem Armstuhle lehnte und ihren Schmerz mit einem kleineren Deputätchen von derselben lieblichen Flüssigkeit beschwichtigte. Ferner waren noch ein paar Fährleute zugegen, die gewisse Instrumente, Baggernetze genannt, bei sich hatten. Sogar diese Burschen waren jeder mit einem Glas steifen Grog versehen; und da sie mit großem Behagen tranken und natürlich sehr rotnasig, krätzig und zechgemütlich aussahen, so trug ihre Anwesenheit eher dazu bei, den ganz entschiedenen Ausdruck von Behaglichkeit, der für die Gesellschaft so charakteristisch war, zu erhöhen als zu verringern.
    »Mit Freuden wollte ich in die Ewigkeit gehen, wenn ich nur der lieben alten Dame Rum und Wasser vergiften könnte«, murmelte Quilp.
    »Ach!« sagte Herr Braß, das Schweigen unterbrechend und die Augen mit einem Seufzer zur Decke aufschlagend, »wer weiß, ob er nicht eben auf uns herniedersieht! Wer weiß, ob er uns jetzt nicht beobachtet von – von einem oder dem andern Orte aus und uns mit wachsamem Auge betrachtet! Ach Gott!«
    Hiermit hielt Herr Braß inne, um die Hälfte seines Punsches hinunterzugießen, und fuhr dann fort, indem er während des Sprechens die andere Hälfte mit einem betrübten Lächeln beäugelte.
    »Es ist mir fast«, sagte der Rechtsgelehrte, den Kopf schüttelnd, »als könnte ich sein Auge unten auf dem Boden meines Glases glänzen sehen. Wann werden wir je wieder seinesgleichen schauen? Nie, nie! In der einen Minute sind wir hier« – er hielt den Kelch vor die Augen – »in der nächsten dort«, er
leerte den Inhalt hinunter und klopfte sich dabei bedeutsam auf den Magen, »in dem stillen Grabe – oh, der Gedanke, daß ich jetzt seinen Rum trinken soll! Es ist mir wie ein Traum!«
    Ohne Zweifel in der Absicht, sich von der Wirklichkeit seiner Lage zu überzeugen, schob Herr Braß Frau Jiniwin sein Glas zu, damit es wieder gefüllt würde, und wandte sich sodann gegen die

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