Der Raritätenladen
ausführte und mit einem drohenden Blicke begleitete, begegnete sie in dem Spiegel seinem Auge,
das sie gerade bei der Tat ertappte. Derselbe Blick auf den Spiegel vermittelte ihr aber auch den Reflex eines schrecklichen, grotesk verzogenen Gesichts mit herausgestreckter Zunge, und in dem nächsten Augenblicke fragte sie der Zwerg, der sich mit einer vollkommen ruhigen und gefälligen Miene umwandte, im Tone großer Zärtlichkeit:
»Wie ist Ihnen jetzt, mein lieber alter Schatz?«
So unbedeutend und lächerlich auch dieser Vorfall war, so nahm sich Herr Quilp doch dabei wie ein kleiner Teufel aus, und das verschmitzte und durchtriebene Gesicht des Zwerges schüchterte die alte Frau so sehr ein, daß sie kein Wort hervorbringen konnte und sich durchaus nicht sträubte, als er sie mit ausgesuchter Höflichkeit nach dem Frühstückstisch führte. Hier verminderte er keineswegs den Eindruck, den er eben hervorgebracht hatte, denn er speiste die harten Eier samt der Schale, verzehrte gigantische Seegarnelen mit Kopf und Schwanz, kaute zugleich mit außerordentlicher Gier Tabak und Brunnenkresse, trank kochendheißen Tee, ohne zu blinzeln, biß in seine Gabel und in seinen Löffel, daß sie krumm wurden, und verrichtete – mit einem Worte – so viele entsetzliche und ungewöhnliche Heldentaten, daß die beiden Frauen fast ihren Verstand darüber verloren und zu zweifeln begannen, ob er wirklich ein menschliches Wesen sei. Nachdem Herr Quilp endlich diese und noch viele andere Manöver, die gleichfalls zu seinem System gehörten, absolviert hatte, verließ er die Frauen in einer sehr gehorsamen und demütigen Gemütsstimmung und begab sich an das Themseufer. Dort nahm er ein Boot, um nach der Werft, die seinen Namen führte, zu fahren.
Es war eben Flutzeit, als Daniel Quilp sich in das Fährboot setzte, um nach dem entgegengesetzten Ufer zu gelangen. Eine ganze Flotte von Barken kam lässig herbei, die einen mit der
Seite, die andern mit dem Schnabel und wieder andere mit dem Stern voran; sie stießen querköpfig, eigensinnig und hartnäckig gegen die größeren Fahrzeuge an, kamen unter den Bug der Dampfboote, trieben in alle Arten von Winkeln und Ecken, wo sie nichts zu tun hatten, und wurden von allen Seiten wie ebenso viele Walnußschalen zusammengequetscht, während jede mit ihrem Paar langer Ruder in dem Wasser plätscherte und kämpfte, einem ermatteten Fische gleich, der sich nicht aus dem seichten Wasser zu helfen weiß. In einigen der vor Anker liegenden Schiffe waren alle Hände mit dem Aufrollen der Taue, mit dem Ausbreiten der Segel, um sie zu trocknen, oder mit dem Einnehmen und Ausladen der Kargos beschäftigt; in andern rührte sich gar nichts, einige Matrosenjungen und vielleicht einen bellenden Hund ausgenommen, der auf dem Deck hin- und herlief oder an den Planken hinaufkletterte, um über Bord sehen und desto lauter die Aussicht anbellen zu können. Durch den Wald von Masten kam langsam ein großes Dampfschiff herunter, peitschte mit seinen schweren Ruderschaufeln in kurzen, ungeduldigen Schlägen das Wasser, als ob es ihm an Raum zum Atmen gebräche, und bewegte seinen gewaltigen Rumpf wie ein Seeungeheuer unter den Elritzen der Themse vorwärts. Zu beiden Seiten schwammen lange, schwarze Reihen von Kohlenschiffen, und durch diese drängten sich Fahrzeuge mit sonnenglänzenden Segeln, die sich langsam aus dem Hafen herausarbeiteten, während das Knarren an Bord aus hundert Richtungen widerhallte. Das Wasser und alles darauf war in rühriger Bewegung, tanzend, wogend und Blasen aufwerfend, während der alte graue Tower, die Gebäudereihe am Ufer und die dazwischen aufschießenden Kirchtürme kalt heruntersahen und ihre tätige, unruhige Nachbarin zu verachten schienen.
Daniel Quilp, dem ein schöner Morgen höchstens insofern
angenehm war, als er ihm die Mühe ersparte, einen Regenschirm bei sich zu führen, ließ sich neben der Werft ans Land setzen und begab sich zu ihr durch eine enge Gasse, die den amphibischen Charakter ihrer Bewohner teilte, indem sie aus einer Zusammensetzung von reichlichem Schmutz und vielem Wasser bestand. An dem Orte seiner Bestimmung angelangt, war der erste Gegenstand, der ihm ins Auge fiel, ein Paar sehr unvollkommen beschuhte Füße, die mit den Sohlen in der Luft schwebten. Diese merkwürdige Erscheinung hing mit einem Knaben zusammen, der von etwas exzentrischem Geiste war und eine natürliche Vorliebe für Gauklerkunststücke besaß, weshalb er sich jetzt auf den
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