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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Brust und streichelte es mit seinen welken Händen. »Sie wird es vermissen, wenn sie erwacht.
Man hat sich den Spaß gemacht, es hier zu verstecken. Aber sie soll es haben, sie soll es haben. Ich möchte meinen Liebling nicht necken, nicht um alle Reichtümer der Welt. Sieh nur diese Schuhe, wie zerrissen sie sind; sie hat sie aufgehoben zur Erinnerung an unsere letzte lange Reise. Du siehst, wo die kleinen Füßchen auf den bloßen Grund traten. Man sagte mir später einmal, die Steine hätten sie wund gerissen und verletzt. Sie sagte mir nie etwas davon. Nein, nein. Gott segne sie! Und wohl erinnerte ich mich seitdem daran; sie ging hinter mir her, damit ich nicht sehen könnte, wie sie hinkte; aber doch lag ihre Hand in der meinigen, und sie schien mich noch immer zu führen.«
    Er preßte sie an seine Lippen, und nachdem er sie sorgfältig zurückgelegt hatte, sprach er wieder mit sich selbst, wobei er von Zeit zu Zeit ängstliche Blicke nach der Kammer warf, aus der er gekommen war.
    »Sie war nicht gewohnt, lange in dem Bette liegenzubleiben; aber damals war sie gesund. Wir müssen Geduld haben. Wenn sie wieder wohl ist, wird sie so früh aufstehen, als sie sonst zu tun pflegte, und draußen in der Morgenluft umherschweifen. Ich habe es oft versucht, ihren Fußtapfen zu folgen, aber ihr kleiner Elfentritt ließ keine Spur auf dem betauten Grunde zurück, um mich zu leiten. Wer ist das? Schließe die Tür! Geschwind! – Haben wir nicht genug zu tun, diese strenge Kälte auszusperren und sie warm zu erhalten?«
    Die Tür wurde wirklich geöffnet, und Herr Garland und sein Freund nebst zwei andern Personen traten ein. Diese waren der Schulmeister und der Bachelor. Der erstere hielt ein Licht in seiner Hand. Er war, wie es schien, in dem Augenblick, als Kit kam und den alten Mann allein fand, eben in seine eigene Wohnung gegangen, um in die verlöschende Lampe Öl zu gießen.
    Der alte Mann beruhigte sich bei dem Anblick dieser zwei Freunde, ließ den gereizten Ton fallen, in dem er eben erst gesprochen – wenn man diesen Ausdruck auf etwas so Mattes und Trauriges anwenden kann –, nahm seinen früheren Platz wieder ein und verfiel nach und nach in die alte hin und her wiegende Bewegung und in sein dumpfes, wirres Gestöhn.
    Die Fremden beachtete er durchaus nicht. Er hatte sie zwar gesehen, schien aber weder eines Interesses noch der Neugier fähig zu sein. Der jüngere Bruder stand abseits von den übrigen Herren. Der Bachelor zog einen Stuhl in die Nähe des alten Mannes und setzte sich neben ihn. Nach einem langen Schweigen wagte er zu sprechen.
    »Wieder eine Nacht und nicht im Bett?« sagte er leise. »Ich hoffte, Sie würden des Versprechens, das Sie mir gegeben, mehr eingedenk sein! Warum wollen Sie sich nicht einige Ruhe gönnen?«
    »Der Schlaf hat mich verlassen«, versetzte der alte Mann, »er ging zu ihr!«
    »Es würde ihr sehr leid tun, wenn sie wüßte, daß Sie in dieser Weise wachen«, sagte der Bachelor. »Sie möchten ihr doch nicht wehe tun?«
    »Vielleicht doch, wenn ich sie nur dadurch aufwecken könnte; sie hat so gar lange geschlafen. Und doch, es ist unrecht von mir, daß ich so rede. Es ist ein guter und glücklicher Schlaf – nicht wahr?«
    »O gewiß«, entgegnete der Bachelor. »Gewiß, gewiß ist er es!«
    »Nun, so ists recht! – und das Erwachen?« stotterte der alte Mann.
    »Auch glücklich, glücklicher als eine Zunge auszusprechen oder des Menschen Herz zu fassen vermag.«
    Sie sahen ihm nach, wie er aufstand und auf den Zehen in die andere Kammer schlich, in die die Lampe wieder gestellt worden war. Sie lauschten, während er innerhalb der stummen Wände wieder zu sprechen begann, sahen einander in die Augen, und keine Wange blieb von Tränen frei. Er kam zurück und flüsterte, sie schliefe zwar noch, aber es käme ihm vor, als ob sie sich bewegt hätte. Es war ihre Hand, sagte er – wohl nur wenig, nur ganz, ganz wenig; aber er war ziemlich sicher, daß sie sie bewegt hatte – vielleicht um die seinige zu suchen. Er erinnerte sich, daß sie es früher schon so gemacht hatte, obgleich sie im tiefsten Schlafe lag. Und als er dies gesagt, ließ er sich nieder in seinen Stuhl, schlug die Hände über dem Haupte zusammen und stieß einen Schrei aus, der allen unvergeßlich bleiben wird.
    Der arme Schulmeister winkte dem Bachelor, er möge sich an die andere Seite des Alten stellen und mit ihm sprechen. Sie öffneten ihm sanft die Finger, die sich in sein graues Haar

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