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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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den freien Stunden, die ihnen der Dienst bei dem kranken Manne ließ, sich mit einer schauerlichen Zechgenossenschaft zusammensetzten, aßen, tranken und fröhlich waren: denn Krankheit und Tod waren ihre Penaten.
    Aber ungeachtet der Verwirrung und Atemlosigkeit einer solchen Zeit war die Kleine mehr als je allein: allein mit ihren Gedanken, allein in ihrer Anhänglichkeit an den, der auf seinem heißen Krankenlager sich verzehrte, allein in ihrem ungeheuchelten Schmerz und in ihrer unerkauften Teilnahme. Tag um Tag, Nacht um Nacht befand sie sich an dem Kissen des bewußtlosen Patienten, stets jedem seiner Bedürfnisse zuvorkommend, und horchte angstvoll darauf, wenn er immer wieder ihren Namen rief oder seinem Bangen und seinen Sorgen um sie Worte lieh, um sie, die immer in seinen Fieberphantasien die Hauptrolle spielte.
    Das Haus gehörte ihnen nicht mehr. Selbst die elende Krankenkammer schien ihnen nur als ein unsicheres Lehen, das von Herrn Quilps Gunst abhing, überlassen zu sein. Die Krankheit des alten Mannes hatte noch nicht lange gedauert, als Herr Quilp von dem Hause und allem Zubehör, kraft gewisser dazu berechtigender, gesetzlicher Eigenschaften, die nur wenige verstanden und die niemand beanstanden mochte, förmlich Besitz nahm. Sobald dieser Schritt unter dem Beistande eines Advokaten, den der Zwerg zu diesem wichtigen Zwecke beigezogen hatte, getan war, begann er sich mit seinem Gefährten in dem Hause einzurichten, um seine Rechte gegen alle Nachkommenden zu behaupten. Dann schickte er sich an, in seinem Quartier sichs nach seiner Weise behaglich zu machen.
    Herr Quilp logierte sich daher in der hinteren Wohnstube ein, nachdem er zuvor dem Raritätenkram durch Schließung des Ladens auf die wirksamste Weise ein Ende gemacht hatte.
Unter dem alten Möbelwerk suchte er den schönsten und bequemsten Stuhl, der sich auffinden ließ, zu seinem eigenen Gebrauche aus, während er sehr rücksichtsvoll einen besonders häßlichen und unbequemen zu Nutz und Frommen seines Freundes wählte und beide in das genannte Gemach bringen ließ, in dem er mit großer Stattlichkeit seinen Sitz einnahm. Das Zimmer war ziemlich entfernt von der Kammer des alten Mannes; aber Herr Quilp hielt es für klug, als Vorsichtsmaßregel gegen Fieberansteckung und als heilsame Räucherung nicht nur selbst ohne Unterlaß Tabak zu rauchen, sondern auch darauf zu bestehen, daß sein Rechtsfreund das gleiche tat. Außerdem schickte er auch einen Expreßboten nach der Werft, um den gaukelnden Jungen herbeizuholen, der denn auch in aller Eile ankam und den Befehl erhielt, auf einem andern Stuhle in der Nähe der Tür Platz zu nehmen, unaufhörlich aus einer von dem Zwerge zu diesem Zweck gekauften großen Pfeife zu rauchen und sich ja nicht zu unterstehen, sie unter was immer für einem Vorwande auch nur eine Minute aus dem Munde zu nehmen. Nachdem diese Vorkehrungen getroffen waren, sah Herr Quilp mit kichernder Zufriedenheit umher und meinte, das nenne er einmal Komfort.
    Der Rechtsgelehrte, dessen melodischer Name Braß lautete, hätte es wohl auch Komfort nennen können, wenn nicht zwei Schattenseiten gewesen wären: die eine bestand nämlich darin, daß er unter keinen Umständen behaglich auf seinem Stuhle sitzen konnte, weil er sehr hart, eckig, schlüpfrig und schief war, die andere, daß der Tabakrauch ihm stets große Übelkeit verursachte und er ihn daher von Grund seiner Seele aus nicht leiden konnte. Da er aber mit Haut und Haaren eine Kreatur des Herrn Quilp war und tausend Gründe hatte, dessen Gunst zu erhalten, so versuchte er zu lächeln und nickte, wohl oder übel, so beifällig, als es ihm möglich war.
    Dieser Braß war ein Anwalt von nicht sonderlich gutem Rufe aus Bevis Marks in der City von London – ein großer, magerer Mann mit einer Nase wie eine Warze, einer vorspringenden Stirn, eingesunkenen Augen und tiefroten Haaren. Er trug einen langen, schwarzen Überrock, der bis zu den Knöcheln reichte, kurze schwarze Beinkleider, hohe Schuhe und bläulichgraue baumwollene Strümpfe. Er hatte ein kriechendes Wesen an sich, aber eine sehr rauhe Stimme, und sein einschmeichelndstes Lächeln war so ungemein abstoßend, daß man ihn lieber übelgelaunt und im Zorne gesehen hätte, damit er wenigstens nur finster dreinschaute, wenn man schon zu seiner Gesellschaft verurteilt war.
    Quilp sah auf seinen Rechtsfreund, und als er bemerkte, wie dieser in seinem Pfeifenfieber sehr viel blinzelte, wie er schauderte, wenn er

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