Der Raritätenladen
eifrig.
»Miß Nell«, rief der Junge, indem er unter das Fenster trat, in leiserem Tone, »es sind neue Herren unten! Das ist eine Veränderung für Sie.«
»O freilich!« versetzte das Kind.
»Und wird es auch für ihn sein, wenn es besser mit ihm geht«, sagte der Knabe auf das Krankenzimmer deutend.
»Wenn er wieder gesund wird«, fügte das Kind bei, unfähig, seine Tränen zurückzuhalten.
»Oh, ganz sicher, ganz bestimmt!« sagte Kit; »ich bin überzeugt, er wird wieder gesund. Sie dürfen nicht so niedergeschlagen sein, Miß Nell. Nicht so traurig sein, bitte!«
Diese wenigen und rauhen Worte der Ermutigung und des Trostes verfehlten ihre Wirkung nicht auf das Kind und entpreßten ihm für den Augenblick noch mehr Tränen.
»Es wird gewiß besser mit ihm werden«, sagte der Knabe,
»wenn Sie sich nicht zu sehr dem Schmerz hingeben und am Ende selbst krank werden, was seinen Zustand verschlimmern und ihn selbst in der Genesung wieder zurückbringen würde. Aber wenn er sich erholt, so reden Sie ein gutes Wort, reden Sie ein freundliches Wort für mich, Miß Nell!«
»Man sagt mir, ich darf lange, lange nicht deinen Namen vor ihm nennen«, entgegnete das Kind; »ich darf es daher nicht wagen, selbst wenn ich es wollte! Aber was nützt dir denn ein Wort von mir, Kit? Wir werden sehr arm sein. Wir werden kaum Brot zu essen haben.«
»Nicht um wieder angenommen zu werden, bitte ich Sie um diese Gunst«, erwiderte der Knabe; »ich dachte gar nicht an Kost und Lohn, als ich so lange hier wartete, um Sie endlich einmal sehen zu können. Glauben Sie ja nicht, daß ich in dieser traurigen Zeit herkam, um von solchen Dingen zu sprechen!«
Das Kind sah dankbar und freundlich auf ihn hinunter, erwartete aber, daß er weitersprechen werde.
»Nein, es geschah nicht deshalb«, fuhr Kit stockend fort, »sondern wegen einer ganz andern Sache. Ich weiß wohl, daß ich nicht viel Verstand habe, aber wenn man es Ihrem Großvater klarmachen könnte, daß ich ihm treu gedient habe, daß ich tat, was ich konnte, ohne je eine böse Absicht zu haben, vielleicht würde er es nicht …«
Hier stotterte Kit so lange, daß das Kind ihn bat, sich frei auszusprechen, und zwar rasch, denn es sei schon spät und daher Zeit, das Fenster zu schließen.
»Vielleicht würde er es nicht für eine allzu große Keckheit halten, wenn ich sage – also, das will ich sagen«, rief Kit plötzlich ermutigt. »Diese Heimat ist für Sie und für ihn verloren! Meine Mutter und ich haben freilich nur ein sehr armseliges Haus, aber es ist doch noch viel besser als dies hier mit der gan
zen Bande – und warum könnte er nicht dorthin kommen, bis er Zeit gefunden hat, sich umzusehen und ein besseres auszusuchen?«
Das Kind antwortete nicht. Kit aber, dem ganz leicht zumute war, als er den Vorschlag herausgebracht hatte, fand jetzt seine Zunge gelöst und sprach mit der größten Beredsamkeit zu dessen Gunsten.
»Sie denken wohl«, fuhr er fort, »daß unser Heim sehr klein und unbequem ist? Das mag wohl sein, aber es ist sehr rein! Vielleicht meinen Sie, es sei dort zu geräuschvoll; aber es gibt keinen ruhigeren Hof als den unsrigen in der ganzen Stadt. Vor den Kindern brauchen Sie sich nicht zu fürchten. Der Kleine weint fast nie, und der andere ist sehr gut; außerdem will ich sie schon im Zaume halten, gewiß, sie sollen Ihnen wenig lästig werden. Versuchen Sie's, Miß Nell, versuchen Sie's! Das kleine Vorderzimmer, eine Stiege hoch, ist sehr angenehm. Sie können ein Stück von der Kirchturmuhr durch die Schornsteine sehen und fast die Stunde ablesen. Die Mutter sagt, es würde ganz für Sie passen; ja, und das würde es auch, und Mutter könnte Sie bedienen, und ich würde Gänge für Sie machen. Um Geld ists uns nicht zu tun, behüte Gott – Sie werden doch so etwas nicht denken! Wollen Sie's bei ihm probieren, Miß Nell? Sagen Sie nur, Sie wollen es bei ihm probieren! Versuchen Sie es, den alten Herrn zu bewegen, daß er kommt, und fragen Sie ihn zuerst, was ich getan habe – wollen Sie mir auch das nicht versprechen, Miß Nell?«
Ehe das Kind auf diese dringende Bitte antworten konnte, öffnete sich die Haustür, und der Kopf des Herrn Braß kam in einer Schlafmütze zum Vorschein, und eine sauertöpfische Stimme fragte, wer da sei. Kit glitt leise, aber rasch hinweg, und Nell entfernte sich von dem Fenster, nachdem sie es leise geschlossen hatte.
Ehe aber Herr Braß Zeit hatte, seine Frage zu wiederholen, tauchte auch Herr
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