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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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benachbarten Laden zu sehen, ließ sie aber gleich wieder mit größerem Ernste und erhöhter Aufmerksamkeit in die alte Richtung gleiten.
    Wir haben bereits bemerkt, daß dieser Jemand in seinem Versteck durchaus keine Müdigkeit zu erkennen gab und es auch nicht tat, obwohl er lange warten mußte. Als jedoch die Nacht vorrückte, verriet sein Gesicht einige Angst und Überraschung, indem er häufiger auf die Uhr und weniger hoffnungsvoll als zuvor nach dem Fenster schaute. Endlich wurde die Uhr durch ein paar neidische Läden seinen Blicken entzogen; dann verkündeten die Kirchturmglocken elf, dann ein Viertel auf zwölf, und nun schien sich ihm die Überzeugung aufzudrängen, daß es zu nichts führen würde, wenn er noch länger bliebe.
    Daß diese Überzeugung eine unwillkommene und daß er noch immer nicht sehr geneigt war, ihr nachzugeben, bezeugte sein Widerstreben, den Ort zu verlassen, seine trägen Schritte, mit denen er oft von dannen ging, stets aber über die Achsel nach demselben Fenster schaute, und die Eile, mit der er ebensooft wieder zurückkehrte, wenn ein eingebildetes Geräusch oder das wechselnde und unvollkommene Licht ihn auf den Gedanken brachte, es sei leise geöffnet worden. Endlich gab
er die Hoffnung für diese Nacht auf, fing plötzlich zu rennen an, als ob er sich mit Gewalt losmachen wollte, und jagte in größter Eile davon, ohne auch nur ein einziges Mal einen Rückblick zu wagen, damit er nicht abermals umsonst versucht werden möchte.
    Ohne seinen Laufschritt zu mäßigen oder auch nur innezuhalten, um Atem zu schöpfen, schlüpfte dieses geheimnisvolle Individuum durch viele Straßen und Gäßchen, bis es endlich auf einem gepflasterten, viereckig gebauten Hofe anlangte und erst hier einen ruhigen Schritt annahm. Vor einem kleinen Hause, aus dessen Fenstern noch Licht schien, machte es halt, drückte auf die Türklinke und trat ein.
    »Gott steh uns bei!« rief eine Frau, sich rasch umwendend; »wer ist das? Ha! Bist du's, Kit?«
    »Ja, Mutter, ich bins.«
    »Aber wie müde du aussiehst, mein Lieber.«
    »Der alte Herr ist heute abend nicht ausgegangen«, sagte Kit, »und sie hat sich die ganze Zeit über nicht am Fenster blicken lassen.«
    Mit diesen Worten setzte er sich mit trauriger und mißvergnügter Miene am Feuer nieder. Das Gemach, in dem Kit in einer solchen Stimmung Platz nahm, war ein ungemein ärmlicher und einfacher Raum, der aber trotzdem jenes Behagen ausströmte, das Reinlichkeit und Ordnung zu verleihen imstande sind – es sei denn, das Haus wäre wirklich zu armselig und schlecht. Obwohl die Schwarzwälder Uhr schon eine ziemlich späte Stunde verkündete, war die alte Frau noch immer emsig mit Bügeln beschäftigt; ein kleines Kind lag in einer Wiege schlafend neben dem Herde, und ein anderes, ein stämmiger Knabe von zwei oder drei Jahren, saß noch hellwach, mit einem engen Schlafhäubchen auf dem Kopf und einem für seinen Körper viel zu kleinen Nachtkittelchen auf
dem Leibe, in einem Wäschekorb. Mit seinen großen, runden Augen guckte der Kleine über den Rand weg und sah ganz so aus, als habe er gar nicht im Sinne, wieder einzuschlafen – ein Umstand, der für seine Verwandten und Freunde sehr erfreulich war, da er sich bereits dem Schlaf widersetzt hatte und aus dem Bette genommen werden mußte. Es war eine etwas wunderlich aussehende Familie – Kit, seine Mutter und die Kinder –, denn alle waren sich sprechend ähnlich.
    Kit hatte die redlichste Absicht, schlechter Laune zu sein, wie es oft den Besten von uns zu gehen pflegt; aber er sah auf das jüngste Kind, welches sich eines gesunden Schlafes erfreute, und von diesem auf seinen andern Bruder in dem Wäschekorb, dann auf seine Mutter, welche sich, ohne zu klagen, seit dem frühen Morgen abgearbeitet hatte, und so dachte er, es wäre doch eigentlich wohl besser und freundlicher von ihm, wenn er gut gelaunt wäre. Er setzte daher die Wiege mit dem Fuß in Gang, schnitt dem Rebellen im Wäschekorb eine Fratze, was diesen augenblicklich in den besten Humor versetzte, und faßte den männlichen Entschluß, redselig zu sein und sich angenehm zu machen.
    »Ach, Mutter«, sagte Kit, indem er sein Schnappmesser herauszog und über ein großes Stück Brot und Fleisch herfiel, das schon seit einer Stunde für ihn bereit war, »was Ihr doch für eine Mutter seid! Ich stehe dafür, daß es nicht viele solche Mütter gibt.«
    »Hoffentlich gibt es noch viel bessere, Kit«, versetzte Frau Nubbles; »das ist

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