Der Raritätenladen
Ihre Maßregeln treffen, Nachbar?«
»Das soll gewiß geschehen«, erwiderte der alte Mann. »Wir werden nicht hierbleiben.«
»So dachte ich auch«, sagte der Zwerg; »ich habe das Anwesen verkauft: es brachte nicht ganz so viel ein als notwendig, doch ging es noch an – es ging noch an. Heute ist Dienstag. Wann soll das Mobiliar fortgeschafft werden? Es hat keine Eile – sagen wir vielleicht heute nachmittag?«
»Am Freitag morgen«, versetzte der alte Mann.
»Sehr gut«, sagte der Zwerg, »sei es so! Aber bedenken Sie wohl, Nachbar, daß es nicht über diesen Tag hinausgeschoben werden darf – unter keiner Bedingung!«
»Gut«, entgegnete der alte Mann, »ich wills nicht vergessen.«
Herr Quilp schien etwas verblüfft über die sonderbare, ganz
stumpfe Art, in der all dies gesprochen wurde; da jedoch der alte Mann nickte und sein ›am Freitag morgen – ich wills nicht vergessen‹ wiederholte, so hatte er keinen Grund, bei dem Gegenstand länger zu verweilen, sondern verabschiedete sich freundlich, unter manchen Versicherungen seiner Geneigtheit und vielen Komplimenten über das merkwürdig gute Aussehen seines Freundes; dann ging er die Treppe hinunter, um Herrn Braß mitzuteilen, was er ausgerichtet hatte.
Den ganzen Tag über wie auch den darauffolgenden verblieb der alte Mann in demselben Zustande. Er wanderte in dem Hause auf und ab und in den Zimmern hin und her, als treibe ihn der unbestimmte Gedanke umher, ihnen Lebewohl sagen zu müssen; aber er spielte weder direkt noch indirekt auf die Unterredung des Morgens noch auf die Notwendigkeit an, ein anderes Obdach aufzusuchen. Eine unklare Vorstellung mochte ihm vorschweben, daß die Kleine verlassen sei und der Hilfe bedürfe, denn er zog sie oft an seine Brust und munterte sie auf, guten Mutes zu sein, indem er ihr versicherte, daß sie einander nie verlassen wollten; aber er schien außerstande, seine wahre Lage deutlich zu erkennen, und blieb stets in demselben gleichgültigen, empfindungslosen Zustand, in den körperliche und geistige Leiden ihn gebracht hatten.
Wir nennen ihn einen Zustand der Kindheit; es liegt jedoch derselbe armselige, hohle Spott darin, wie wenn man den Tod mit dem Schlafe vergleicht. Wo sind in den blöden Augen faselnder Greise das lachende Licht und das Leben der Kindheit, der Frohsinn, der keinen Zügel kennt, die Offenheit, die von keinem Frost erstarrt, die Hoffnung, welche nie verwelkt, die Freuden, die nicht in der Blüte dahinschwinden? Wo ist in den scharfen Linien des starren, unheimlichen Todes die ruhige Schönheit des Schlummers, welche von dem Frieden entschwundener, wacher Stunden und von den zarten Liebeshoff
nungen für die kommenden erzählt? Legt den Tod und den Schlaf Seite an Seite nebeneinander und sagt, worin die Verwandtschaft der beiden liege! Laßt das Kind und den kindischen Greis miteinander ziehen und errötet ob dem gedankenlosen Hochmute, der unsern alten glücklichen Zustand verlästert und seinen Namen einem häßlichen Zerrbild verleiht.
Donnerstag kam, und mit dem alten Manne war noch nichts anders geworden. Erst abends trat eine Änderung ein, als er und das Kind schweigend beisammensaßen.
In dem kleinen, öden Hofe unter seinem Fenster war ein Baum – grün und blühend genug für einen solchen Platz –, und da der Wind in seinen Blättern rauschte, warf er einen zitternden Schatten auf die weiße Wand. Der alte Mann sah den Schatten zu, wie sie auf der erleuchteten Fläche bebten, bis die Sonne unterging, und als die Nacht hereinbrach und der Mond langsam in die Höhe stieg, saß er noch immer an derselben Stelle.
Für einen Mann, der sich so lange auf einem ruhelosen Lager herumgeworfen hatte, waren selbst diese wenigen grünen Blätter und dieses ruhige Licht, obgleich es zwischen Schornsteinen und Hausgiebeln schmachtete, liebliche Dinge. Sie führten die Bilder von entlegenen traulichen Orten, von Ruhe und Frieden vor das geistige Auge.
Es schien dem Kinde mehr als einmal, er sei gerührt gewesen und habe es deshalb vermieden, zu sprechen. Aber jetzt vergoß er Tränen – Tränen, deren Anblick ihr eigenes Herzweh erleichterten, und mit einer Gebärde, als wolle er auf die Knie fallen, bat er sie, ihm zu vergeben.
»Was soll ich Ihnen vergeben?« fragte Nell, indem sie der beabsichtigten Bewegung zuvorkam. »Ach, Großvater, was hätte ich Ihnen zu vergeben?«
»Deine ganze Vergangenheit, deine ganze Zukunft, Nell, und alles, was in jenem schweren Traume geschah«,
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