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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Quilp, gleichfalls mit einer Nachtmütze verschönt, aus derselben Tür, sah sorgfältig die Straße hinauf und hinunter und betrachtete alle Fenster des gegenüberliegenden Hauses. Als er niemand sah, kehrte er alsbald mit seinem Rechtsfreunde in das Haus zurück und beteuerte – wie das Kind von dem Treppengeländer aus hörte –, daß eine Verschwörung und ein Komplott gegen ihn am Werke sei, daß er Gefahr laufe, von einer Gaunerbande, die zu allen Tageszeiten um das Haus schleiche, beraubt und geplündert zu werden, und daß er keinen Augenblick länger zögern wolle, sein Eigentum hier zu veräußern und unter sein eigenes friedliches Dach zurückzukehren. Nachdem er diese und noch viele andere Drohungen ähnlichen Inhalts gebrummt hatte, kugelte er sich wieder in des Kindes kleinem Bette zusammen, und Nell schlich leise die Treppe hinauf.
    Es lag in der Natur der Sache, daß die kurze und unbeendigte Zwiesprache mit Kit einen tiefen Eindruck auf ihr Gemüt machte, sogar auf die Träume dieser Nacht, und lange, lange Zeit auch auf ihre Gedanken einen wesentlichen Einfluß übte. Umgeben von gefühllosen Gläubigern und gedungenen Krankenwärtern, von Frauen, bei denen sie selbst in ihrer größten Angst und Aufregung auch nicht die geringste Teilnahme oder Rücksicht fand, darf es nicht überraschen, wenn das liebevolle Herz des Kindes bis ins Innerste getroffen wurde, durch die Worte einer einzigen, freundlichen und edlen Seele, wie roh und unbehauen auch die Form war, in der diese wohnte. Dem Himmel sei Dank, daß die Tempel solcher Seelen nicht von Menschenhänden gebaut werden und daß ihnen vielleicht armselige Lumpen eine weit würdigere Zierde sind als Purpur und feine Leinwand.

Zwölftes Kapitel
    Endlich war die Krisis in der Krankheit des alten Mannes vorüber, und es wurde besser mit ihm. Nur ganz langsam und allmählich kehrte sein Bewußtsein zurück, aber sein Geist war geschwächt und dessen Funktionen beeinträchtigt. Er war geduldig und ruhig, brütete oft lange Zeit vor sich hin, war aber nie verzweifelt. Die kleinsten Dinge machten ihm Freude, wenn es auch nur ein Sonnenstrahl an der Wand oder an der Zimmerdecke war; er klagte nicht über die langen Tage oder die schleppenden Nächte und schien überhaupt alles Maß für die Zeit und jeden Sinn für Kummer und Ermüdung verloren zu haben. Er konnte stundenlang mit Nells kleiner Hand in der seinigen dasitzen, mit ihren Fingern spielen und bisweilen innehalten, um ihr Haar zu streicheln oder ihre Stirn zu küssen; und wenn er sah, daß Tränen in ihren Augen glänzten, so sah er vielleicht erstaunt nach der Ursache umher, vergaß aber dann wieder dabei, warum er so verwundert war.
    Das Kind und er fuhren aus: der alte Mann in Kissen gebettet und das Kind an seiner Seite. Sie saßen Hand in Hand, wie gewöhnlich. Der Lärm und das Getümmel der Straßen ermüdeten anfangs seinen Kopf, aber er war weder überrascht noch neugierig, weder erfreut noch unmutig. Das Mädchen fragte ihn, ob er sich an dieses oder jenes erinnere? »O ja«, sagte er, »ganz wohl – warum nicht?« Bisweilen wandte er den Kopf und sah ernsten Blickes und mit ausgestrecktem Halse irgendeinem Fremden in dem Gedränge nach, bis er seinen Blicken entschwand; wenn man ihn aber fragte, warum er dies tue, gab er keine Antwort.
    Eines Tages saß er in seinem Armstuhle und Nell auf einem Schemel an seiner Seite, als ein Mann vor der Tür fragte, ob er eintreten könne. »Ja«, sagte er ohne alle Erregung, er wisse
wohl, daß es Quilp sei; Quilp sei Herr im Hause und dürfe natürlich hereinkommen. Und so kam er denn.
    »Es freut mich, Sie endlich wieder wohl zu sehen«, sagte der Zwerg, indem er ihm gegenüber Platz nahm. »Sind Sie jetzt wieder ganz bei Kräften?«
    »Ja«, sagte der alte Mann schwach, »ja.«
    »Sie wissen, Nachbar, daß ich Sie nicht drängen will«, fuhr der Zwerg mit lauterer Stimme fort, denn die Sinne des alten Mannes waren stumpfer als früher; »aber je eher Sie Ihre weiteren Verfügungen treffen können , desto besser ists.«
    »Gewiß«, sagte der alte Mann, »desto besser für alle Teile.«
    »Sie begreifen«, sprach Quilp nach einer langen Pause, »daß dieses Haus sehr unbehaglich, ja eigentlich unbewohnbar sein wird, wenn die ganze Einrichtung einmal fortgeschafft ist.«
    »Sie haben recht«, entgegnete der alte Mann. »Und auch die arme Nell, was wollte sie tun?«
    »Richtig«, entgegnete der Zwerg nickend; »sehr gut bemerkt. Sie wollen also

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