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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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daß sie sich heute bei Tagesanbruch heimlich fortschlichen?«
    »Nein«, sagte der Knabe in augenscheinlicher Überraschung.
    »Du leugnest also?« rief Quilp. »Weiß ich nicht, daß du letzthin des Nachts immer wie ein Dieb um das Haus herumgeschlichen bist? Hat man dirs damals nicht gesagt?«
    »Nein«, versetzte der Knabe.
    »Wirklich nicht?« sagte Quilp. »Was hat man dir denn gesagt, und wovon habt ihr gesprochen?«
    Kit, der keinen besondern Grund hatte, die Sache jetzt noch geheimzuhalten, erzählte, in welcher Absicht er damals gekommen sei und welchen Vorschlag er gemacht hatte.
    »Oh«, sagte der Zwerg nach einer kurzen Erwägung, »dann denke ich wohl, daß sie noch zu dir kommen werden.«
    »Glauben Sie das wirklich?« rief Kit eifrig.
    »Nun, ich denke wohl«, entgegnete der Zwerg. »Wenns aber geschieht, so laß es mich wissen, hörst du? Laß michs wissen, und du sollst etwas von mir bekommen! Ich möchte ihnen gern einen Liebesdienst erweisen, und das ist doch unmöglich, wenn ichs nicht weiß. Hörst du?«
    Kit hätte ihm vielleicht eine Antwort gegeben, die den Ohren des reizbaren Fragers nicht sehr angenehm gewesen wäre,
wenn nicht plötzlich der Junge von der Werft, der in dem Zimmer umherschlich, um etwas zu finden, das zufällig liegengeblieben sein mochte, plötzlich ausgerufen hätte:
    »Da ist ein Vogel! Was soll man mit dem anfangen?«
    »Dreh ihm den Hals um!« versetzte Quilp.
    »O nein, tut das nicht«, sagte Kit vortretend, »gebt ihn mir.«
    »Natürlich, sonst nichts!« rief der andere Junge. »Weg da! Laß den Käfig los, damit ich ihm den Hals umdrehen kann. Willst du? Er hat gesagt, ich solls tun. Willst du den Käfig loslassen?«
    »Gebt ihn her, gebt ihn mir, ihr Hunde!« schrie Quilp. »Balgt euch darum, ihr Galgenstricke, oder ich drehe ihm selbst den Hals um!«
    Ohne weiteren Zuspruch fielen die zwei Jungen mit Zähnen und Nägeln übereinander her, während Quilp, der mit der einen Hand den Käfig in die Höhe hielt und mit der andern in einer Art von Verzückung sein Messer durch die Dielen stieß, sie durch Geschrei und Hohnworte zu einem noch heftigeren Kampfe anspornte. Sie waren so ziemlich gleich stark und wälzten sich umher, Schläge austauschend, die keineswegs ein Kinderspiel waren, bis sich endlich Kit seines Gegners durch einen wohlgeführten Stoß nach dessen Brust entledigte, worauf er hurtig aufsprang, Quilp den Käfig aus der Hand riß und mit seinem Preise davoneilte.
    Er hielt nicht inne, bis er zu Hause anlangte und dort durch sein blutunterlaufenes Gesicht große Bestürzung hervorrief; das ältere Kind brach in schauerliches Gebrüll aus.
    »Barmherziger Himmel! Kit, was gibt es? Was hast du getan?« rief Frau Nubbles.
    »Kehrt Euch nicht daran, Mutter«, antwortete ihr Sohn, indem er sich das Gesicht mit dem Handtuch hinter der Tür abtrocknete. »Ich bin nicht verletzt, habt meinetwegen keine
Angst. Ich habe mich nur um einen Vogel gebalgt, sonst nichts, und hab gewonnen. Hör auf mit dem Gebrüll, kleiner Jakob! Hab ich doch mein Lebtag keinen so bösen Buben gesehen!«
    »Du hast dich um einen Vogel gebalgt?« rief seine Mutter.
    »Ja, um einen Vogel; hier ist er – Miß Nellys Vogel, Mutter, dem sie den Hals umdrehen wollten. Aber ich habs ihnen gezeigt – ha ha ha! Sie sollten ihm nicht den Hals umdrehen, ehe sie's mir getan hatten, nein, nein. Es ging nicht, Mutter, 's ging durchaus nicht, ha ha ha!«
    Als Kit, mit seinem geschwollenen und mit Beulen versehenen Gesichte aus dem Handtuch heraussehend, so herzlich lachte, fing auch der kleine Jakob zu lachen an; und dann lachte seine Mutter gleichfalls, und der jüngste Nubbles krähte und stampfte aus Leibeskräften, und dann lachten alle im Einklang, zum Teil über Kits Sieg, zum Teil weil sie einander liebhatten. Als sie endlich aufhörten, zeigte Kit das Vögelchen den Kindern als eine große und kostbare Rarität – es war nur ein armer Hänfling –, sah sich an der Wand nach einem alten Nagel um, und als er einen solchen gefunden hatte, machte er sich aus Tisch und Stuhl ein Gerüst, um ihn unter großem Jubel herauszuziehen.
    »Laßt mich sehen, laßt mich sehen!« sagte der Knabe; »ich denke, ich will ihn in das Fenster hängen, weils dort heller und freundlicher ist und er den Himmel sehen kann, wenn er recht in die Höhe guckt. Er singt auch recht hübsch, kann ich euch sagen.«
    Das Gerüst wurde daher abermals aufgeschlagen, und Kit, der hinaufkletterte, mit dem Schüreisen statt

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