Der Raritätenladen
verschmähend, auf die Erde setzte. Plötzlich wurden auf einmal zwei ungeheure Schatten sichtbar, die hinter einer Biegung der Straße, auf der sie selbst gekommen waren, auftauchten und ihrem Rastorte näher rückten. Das Kind erschrak anfangs sehr über den Anblick dieser hageren Riesen – denn so sahen sie aus, als sie sich mit stolzen Schritten dem Schatten der Bäume näherten –, aber Short sagte ihr, sie habe nichts zu fürchten, und ließ seine Trompete schmettern, was durch lustige Rufe beantwortet wurde.
»Ist das nicht die Grindersche Gesellschaft?« rief ihnen Herr Short laut entgegen.
»Ja«, erwiderten ein paar schrille Stimmen.
»So kommt heran!« sagte Short. »Laßt euch ein bißchen besehen; ich dachte mirs ja, daß ihr's wäret!«
So eingeladen, verdoppelte ›die Grindersche Gesellschaft‹ ihre Schritte und schloß sich unsern Wanderern an. Herrn Grinders Gesellschaft bestand aus einem jungen Gentleman, einer jungen Dame auf Stelzen und Herrn Grinder selbst, der zum Zwecke der Ortsveränderung sich seiner natürlichen Beine bediente und auf seinem Rücken eine Trommel trug. Das Schaukostüm der jungen Leute war hochländisch; da aber die Nacht feucht und kalt war, so trug der junge Gentleman über seinem Kilt [ 4 ] einen Reisekittel, der ihm bis an die Knöchel reichte, und einen Glanzhut. Die junge Dame war gleichfalls in einen alten Pelzmantel eingehüllt und hatte ein Taschentuch um den Kopf gebunden. Die schottischen, mit pechschwarzen Federn verzierten Mützen trug Herr Grinder auf seinem Instrument.
»Zum Pferderennen, wie ich sehe?« sagte Herr Grinder, als er atemlos herankam. »Wir auch. Wie gehts, Short?«
Sofort schüttelten sie einander sehr freundschaftlich die Hände, und die jungen Leute, die für eine gewöhnliche Begrüßung zu hoch waren, salutierten Short nach ihrer eigenen Weise, indem der junge Gentleman seine rechte Stelze erhob und ihm damit auf die Schulter klopfte, die junge Dame aber auf ihrem Tamburin rasselte.
»Geschieht das zur Übung?« fragte Short, auf die Stelzen deutend.
»Nein«, antwortete Grinder, »sie müssen entweder darauf
gehen oder sie tragen, und sie ziehen jenes vor, denn dabei haben sie noch eine prachtvolle Aussicht. Welchen Weg schlagt Ihr ein? Wir gehen den nächsten.«
»Je nun, die Sache verhält sich so«, sagte Short; »wir wollten den weitesten einschlagen, weil wir dann so anderthalb Meilen von hier über Nacht bleiben können. Doch drei oder vier Meilen in der Nacht gewonnen, sind ebenso viele weniger am nächsten Tag. Und wenn Ihr weiterzieht, so wird es, denke ich, am besten sein, wenn wir das gleiche tun.«
»Wo ist Euer Kompagnon«? fragte Grinder.
»Hier ist er«, rief Herr Thomas Codlin, indem er Kopf und Gesicht in das Proszenium seiner Bühne steckte und eine Fratze schauen ließ, wie man sie dort nicht oft zu sehen bekam; »und er will seinen Kompagnon lieber lebendig gesotten sehen, als diese Nacht noch weitermarschieren. Weiter hat er nichts zu sagen.«
»Wohl, aber sprecht nicht solche Lästerungen in einer Sphäre, die lieblicheren Dingen geweiht ist«, entgegnete Short. »Man muß freundliche Verbindungen respektieren, Tommy, selbst wenn man übler Laune ist.«
»Übler oder guter«, sagte Herr Codlin, indem er mit der Hand auf das kleine Fußbrett schlug, auf dem Policinello, wenn er sich plötzlich des Ebenmaßes seiner Beine und deren Fähigkeit, seidene Strümpfe zu tragen, bewußt wurde, die genannten Gliedmaßen der Bewunderung des Publikums zur Schau stellte. »Guter oder übler, ich gehe heute nicht mehr als anderthalb Meilen. Ich will nirgend anders hin als zu den ›Lustigen Sandbuben‹. Wollt Ihr mitgehen, so kommt; wollt Ihr aber Eurem eignen Kopf folgen, so tut es und geht ohne mich, wenn Ihr könnt.«
Mit diesen Worten verschwand Herr Codlin von der Bühne, erschien unmittelbar darauf außerhalb des Theaters, nahm
es mit einem Ruck auf seine Schultern und machte sich mit höchst merkwürdiger Behendigkeit von dannen.
Da nun von einer weiteren Kontroverse keine Rede mehr sein konnte, so mußte sich Short von Herrn Grinder und seinen Zöglingen verabschieden und seinem mürrischen Gefährten folgen. Er verweilte noch ein paar Minuten am Wegweiser, um im Mondschein den raschen Stelzengängern und dem langsam hinterdreinhumpelnden Trommelträger nachzusehen, tat ein paar Stöße in seine Trompete als Scheidegruß und setzte sich dann in Galopp, um Herrn Codlin nachzukommen. Zu diesem Zweck gab er
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