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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Essens auf und unterstehst dich nicht, aufzuhören.«
    Der Hund begann sogleich eine höchst klägliche Melodie abzuleiern. Sein Herr nahm, nachdem er ihm die Peitsche gezeigt hatte, seinen Sitz wieder ein und rief die andern, die auf seinen Befehl eine Reihe bildeten und aufrecht wie ein Glied Soldaten dastanden.
    »Nun, meine Herren«, sagte Jerry mit einem scharfen Blick auf die Tiere, »der Hund, dessen Name aufgerufen wird, darf fressen. Die andern, deren Namen ich nicht aufrufe, verhalten sich ruhig. Carlo!«
    Das glückliche Individuum, dessen Name gerufen worden war, schnappte den ihm zugeworfenen Bissen auf, aber keiner der andern rührte auch nur einen Muskel. In dieser Weise wurden sie gefüttert, ganz wie es ihr Herr für passend erachtete. Inzwischen leierte der in Ungnade gefallene Hund aus Leibeskräften an der Orgel, bisweilen in raschem, bisweilen in langsamerem Tempo, hörte aber nie auch nur für einen Augenblick ganz auf. Wenn mit den Messern und Gabeln stark gerasselt wurde oder einer seiner Kameraden ein ungewöhnlich großes Stück Speck erhielt, begleitete er die Musik mit einem kurzen Geheul, hielt aber augenblicklich wieder inne, sobald sein Herr nach ihm sah, und machte sich mit erhöhter Emsigkeit zum hundertstenmal an das alte Geleier.

Neunzehntes Kapitel
    Sie hatten ihr Nachtessen noch nicht beendigt, als in den ›Lustigen Sandbuben‹ noch zwei andere Reisende anlangten, die nach demselben Hafen steuerten wie die übrigen, und nach einem Marsch von etlichen Stunden im Regen ganz glänzend und triefend hereinkamen. Der eine davon war der Eigentümer eines Riesen und einer kleinen Dame ohne Arme und Beine, die in einem Korbwägelchen weitergeschafft worden war – der andere ein schweigsamer Herr, der sich durch Kartenkünste seinen Unterhalt gewann und den natürlichen Ausdruck seines Gesichtes dadurch etwas derangiert hatte, daß er kleine bleierne Vierecke in die Augen steckte und durch den Mund wieder zum Vorschein brachte, was gleichfalls zu den Fertigkeiten seines Gewerbes gehörte.
    Der erste dieser neuen Ankömmlinge hieß Vuffin, den andern nannte man, wahrscheinlich als lustige Satire auf seine Häßlichkeit, Sweet William [ 5 ] . Der Wirt sputete sich nach Kräften, um für ihre Bequemlichkeit zu sorgen, und in kurzer Zeit hatten es die beiden Herren vollkommen behaglich.
    »Was macht der Riese?« fragte Short, als sie alle rauchend um das Feuer saßen.
    »Er ist etwas schwach auf den Beinen«, versetzte Herr Vuffin. »Ich bekomme Angst, daß er in den Knien wacklig wird.«
    »Das ist eine schlimme Aussicht«, sagte Short.
    »Ach! Freilich schlimm«, entgegnete Vuffin, mit einem Seufzer das Feuer betrachtend. »Wenn ein Riese nicht mehr fest auf den Beinen steht, so kümmert sich das Publikum nicht mehr um ihn als um einen faulen Kohlstrunk.«
    »Und was wird dann aus dem alten Riesen?« fragte Short,
indem er sich nach kurzem Nachdenken wieder an ihn wandte.
    »Sie kommen dann gewöhnlich zu ganzen Karawanen, bei denen sie die Zwerge bedienen müssen«, erwiderte Herr Vuffin.
    »Ihre Erhaltung muß etwas hoch zu stehen kommen, wenn man sie nicht mehr zeigen kann, he?« bemerkte Short, den andern fragend ansehend.
    »Jedenfalls ist's doch besser so, als wenn man sie dem Kirchspiel zuwiese oder auf den Straßen umherlaufen ließe«, sagte Herr Vuffin. »Ist ein Riese einmal keine Sehenswürdigkeit mehr, so ist mit Riesen nichts mehr zu machen. Denken wir nur einmal an die hölzernen Beine! Wenn es nur einen einzigen Mann mit einem Stelzfuß gäbe, müßte er ein wahrer Schatz sein!«
    »Allerdings«, bemerkten der Wirt und Short gleichzeitig, »das ist sehr wahr.«
    »Wollte man aber«, fuhr Herr Vuffin fort, »wollte man aber ein Stück von Shakespeare von lauter Stelzbeinen spielen lassen, so würde es, glaube ich, keine sechs Pence eintragen.«
    »Das glaube ich selber auch«, entgegnete Short, und der Wirt pflichtete ihm bei.
    »Ihr seht also daraus deutlich«, sprach Herr Vuffin, in argumentierender Weise seine Pfeife schwingend, »daß es politisch ist, die verbrauchten Riesen bei den Karawanen zu erhalten, bei denen sie ihr Leben lang Kost und Wohnung umsonst haben und im allgemeinen sehr froh sind, dableiben zu dürfen. Da war einmal ein Riese, ein schwarzer, der vor etlichen Jahren seine Karawane verließ und Wagenrechnungen in London umhertrug, wodurch er natürlich so gewöhnlich wurde wie ein Straßenkehrer. Er starb. Ich will keine Anspielung auf irgend jemand im

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