Der Rat der Zehn
meine ich.«
»Ich bin im Dienst, Mrs. Kaplan.«
»Wie heißen Sie?«
»Mark.«
»Mark, ich zahle Ihnen hundert Dollar, wenn Sie vor meiner Tür Dienst tun.«
Doris war nicht sicher, was sie geweckt hatte. Der Sturm war stärker geworden, und wahre Wasserströme stürzten gegen ihr Fenster. Sie löste sich aus ihrem Bett, knipste die Nachttischlampe an und ging dann zur Tür.
Doris blickte durch den Spion. Mark war fort.
Sie strengte ihre Augen an, um ihren Blickwinkel zu den Seiten hin zu erweitern. Immer noch nichts. Aber wenn Mark in dem Schreibtischsessel, den sie ihm herausgestellt hatte, saß, würde dies die Erklärung sein.
»Mark«, rief sie leise. »Mark?«
Keine Antwort.
Sie öffnete langsam die Tür, mit noch eingehängter Kette. Ihr Schreibtischsessel stand da. Unbesetzt.
Doris warf die Tür wieder zu und drehte die Riegel herum. Schwer atmend eilte sie zum Telefon und preßte den Hörer ans Ohr.
Kein Freizeichen. Die Leitung war tot.
Sie hatten sie. Ihre Verbindung zur Außenwelt war abgerissen.
Ihr Verstand wurde klarer. Da war ein Poltern gewesen. Irgendein Krachen von irgendwoher. Das hatte sie geweckt. Wenn es vom Korridor gekommen war, würde das Marks Abwesenheit erklären. Aber es bot ihr auch eine Chance. Ein paar Sekunden, in denen sie vielleicht fliehen konnte, bevor die Mörder ihrer drei Freundinnen zurückkehrten.
Doris stieß die Füße in ihre Slipper, warf sich ihren Morgenmantel über und eilte zur Tür zurück. Sie öffnete alle Schlösser, stürzte in den Flur und rannte so schnell sie konnte auf die beiden Fahrstühle, zwölf Zimmer weiter, zu. Der kurze Sprint brachte ihre Lungen zum Brennen, und während sie immer wieder auf den Abwärtsknopf drückte, dachte sie voller Angst daran, daß ihre Lebenspillen nutzlos wie gewöhnlich auf ihrem Nachttisch standen.
Sie hörte, wie der Fahrstuhl sich mühsam hocharbeitete. Das Breakers war ein altes Gebäude, und seine Fahrstühle waren altmodisch und langsam, vierundzwanzig Stunden am Tag mit Angestellten besetzt.
Schritte kamen vom Gang, gleich um die Ecke, wo ihr Apartment war.
Automatisch hämmerte sie immer wieder auf den Abwärtsknopf.
Schließlich glitten die braunen Türen auf. Der Fahrstuhlführer zog das Gitter weg und sah Doris mit nicht geringem Erstaunen an.
»Die Empfangshalle«, sagte sie atemlos, ohne sich um weitere Erklärungen zu bemühen. »Schnell, bitte!«
Dennoch schien es ewig zu dauern, bis der Mann beide Türen und das Gitter zubekam. Schließlich setzte sich der Fahrstuhl abwärts in Bewegung. In der Halle war Doris schon aus der Kabine heraus, bevor der Fahrstuhlführer sie ganz geöffnet hatte. Ihr war klar, daß sie fliehen mußte. Die Mörder konnten inzwischen überall sein.
Die Empfangshalle des Breakers war ein reichverziertes Beispiel einer klassischen Bauweise, eher zu einer italienischen Villa passend als zu einem Hotel. Sie war so lang wie ein Fußballplatz und ziemlich weitläufig, mit Plüschmöbeln und Marmortischchen in regelmäßigen Abständen ausgestattet. Doris eilte den endlos langen Gang unter der gewölbten, stuckverzierten Decke zum Empfangstresen entlang, von der ihr beim Hinaufschauen so oft schwindelig geworden war. Ihr Herz hatte begonnen, mit gefährlicher Unregelmäßigkeit zu pochen, und sie lenkte sich mit dem Gedanken ab, in Sicherheit zu sein, sobald sie den Empfangstresen sehen konnte.
Gerade als sie an ihrem Lieblingswandornament, einem flämischen Wandteppich aus dem fünfzehnten Jahrhundert, vorbeikam, sah sie zwei Männer, die direkt auf sie zukamen. Doris erstarrte. Sie schienen keine Notiz von ihr zu nehmen und kamen einfach weiter auf sie zu.
Und das war es, was sie dazu brachte, zum ersten Ausgang zu rennen, den sie auf der linken Seite sah. Von einer alten Frau, die um vier Uhr morgens in ihrem Nachtzeug durch die Empfangshalle irrte, mußte man Notiz nehmen. Doris eilte hinaus in den strömenden Regen.
Sie begann zu rennen, so schnell, wie der Wind und die Slipper dies zuließen. Ihr Plan war, um das Hotel herum zum Haupteingang zurückzulaufen und ein Taxi zu nehmen. Aber sie sah keines, als sie um die Ecke bog. Also rannte sie weiter zur nächsten Straße, in regelmäßigem Abstand einen Blick hinter sich werfend.
Der Regen drang durch ihre dünne Kleidung. Ihr Haar war zerzaust und kein Gelenk wurde von dem Schmerz verschont, den ihr erster richtiger Sprint, seit sie vor zwölf Jahren das Tennisspielen aufgegeben hatte, verursachte. Sie
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