Der Rat der Zehn
Rauch und Flammen eine Barriere gebildet hatten und diese drohte, sich die Treppe hinunterzufressen, die er gerade heraufgehastet war. Waymann fühlte, wie ihm der Atem wegblieb, als Rauch seine Lunge füllte und er würgen mußte. Er knallte gegen das Schott am oberen Ende der Treppe und begann zusammenzusacken.
Nein! Nicht dies, nicht mehr jetzt, nach alledem!
Derselbe unbändige Wille zu leben, zu überleben, der ihn so viele Male am Leben gehalten hatte, meldete sich wieder. Er fand die erforderliche Kraft, um sich auf das vorzubereiten, was seine letzte Chance war: direkt durch die Flammen zur Reling zu rennen und sich dann über Bord zu stürzen. Er riß sich das weiße Uniformhemd, das er über seinem eigenen Hemd trug, vom Körper und hielt es vors Gesicht. Dann rannte er los.
Später wollte es ihm so scheinen, als hätte es gar keine Flammen gegeben, daß sich ihm ein Tunnel geöffnet hatte, ehe er über Bord sprang. Er spürte Wind und Hitze, aber kein Feuer.
Er traf hart auf dem Wasser auf, mit den Füßen zuerst, und sank tief ein in die kalte schweigende Dunkelheit, die ihm jetzt wie eine Erlösung erschien. Beim Auftauchen erblickte er den brennenden Schiffsrumpf. Dort lagen die letzten Reste eines Pulvers, das millionenfachen Tod verursacht hätte.
Eines der Schnellboote von Trelana kam auf ihn zu, und Waymann winkte mit den Armen, während er mit den Füßen im Wasser strampelte. Er dachte zum erstenmal nach langer Zeit an Drew Jordan und blickte suchend über das Wasser, um die Trümmer dessen zu finden, was einmal ihr Boot gewesen war. Bei aller Freude spürte der Timberwolf auch Schmerz.
Korsika konnte er jetzt fast vergessen, aber nicht ganz.
Ellies erster flüchtiger Eindruck war, daß sie gestorben und Davids Geist gekommen sei, um sie zu besuchen. Dann meinte sie, sie habe sich in der Agonie des Sterbens nur etwas vorgemacht, um den Übergang leichter zu schaffen.
Aber ihre Augen hatten sie nicht getrogen. Der Mann über ihr war David Hirsch, ihr Ehemann, der Mann, den sie geliebt hatte, Minister im israelischen Kabinett, bis er zum Rücktritt gezwungen und später scheinbar bei einem Mordanschlag ums Leben gekommen war.
Ermordet vom Rat der Zehn, hatte sie gedacht.
»Es tut mir leid, Ellie«, sagte er sanft zu ihr, wobei die Pistole an seiner Hüfte herunterhing. »Ich bin es wirklich.«
Ellie rang nach Atem, um zu sprechen. »Der Rat der Zehn«, murmelte sie, wobei ihr Blut aus dem Mund quoll.
David Hirsch nickte. »Ja, Ellie, ich bin der Führer des Rates. Ich war es sogar schon, ehe es notwendig wurde, meinen eigenen Abgang zu ›arrangieren‹. Ich habe den Rat gegründet, so wie er heute besteht. Ich habe ihn aus dem Fundament einer anderen Organisation heraus aufgebaut, die zwar Initiative zeigte, aber keine ausreichenden Visionen hatte. Weißt du, der Rat hat in der einen oder anderen Form Tausende von Jahren bestanden. Aber die Zeit war gekommen, daß eine andere Führung das Kommando übernahm, eine mit grimmiger Entschlossenheit, wenn es darum ging, ein Ziel zu erreichen, die vor nichts haltmachte, um es durchzusetzen.«
»Warum?« hauchte Ellie.
»Du hast dir selbst nichts geschenkt, Ellie«, sagte David Hirsch, anstatt ihr zu antworten. »Du hattest viele Möglichkeiten, leicht und rasch zu sterben, aber du hast die Dinge hingezogen und darauf bestanden, in unsere Zentrale einzudringen. Ich hätte dich heute nachmittag umbringen können, ich hätte es wahrscheinlich tun sollen, aber irgend etwas Sentimentales in mir war dagegen. Ich wollte sehen, wie weit du gehen würdest, dachte, ich könnte dich vielleicht überreden, die Fronten zu wechseln und bei uns mitzumachen. Aber es war alles für die Katz.«
Er beugte sich ganz nahe über sie. »Das alles erscheint jetzt so unwichtig, nicht wahr, Ellie? All die Kugeln, all das Blut. Und dann hier zu liegen mit der Gewißheit des eigenen Todes vor Augen. Das ist der Preis, den du für all dein Treiben zahlen mußt. Das ist der Preis, den alle zahlen müssen, die uns zu nahe kommen.«
Ellie wußte, daß sie es mit einem Verrückten zu tun hatte. Ihr Leben hatte jeden Sinn verloren. Sie würde sterben, und alles war bedeutungslos geworden, nichts war erreicht, ihr Idealismus vergeudet gewesen. Und doch mußte sie mehr erfahren.
»Warum?« fragte sie erneut.
»So viele Fragen, die sie alle hatten«, sagte David mehr zu sich selbst. »So viele Fronten, die ich für sie alle errichten mußte. Unsere Heirat war eine Front,
Weitere Kostenlose Bücher