Der Rattenzauber
Die Flammen verschwanden, doch mit ihnen auch meine Gegnerin. Erneut stolperte sie in die Richtung der Armbrust, ich setzte ihr nach, bekam sie an den Haaren zu fassen und schleuderte sie mit einem wilden Aufschrei zur Seite.
Sie heulte auf, prallte mit der Schulter gegen einen Baum und blieb neben dem reglosen Hollbeck liegen. Ihre blutunterlaufenen Augen starrten mich haßerfüllt an. Ich ergriff die Armbrust und legte zitternd auf sie an.
»Warum … warum du?« stammelte ich mühsam. »Warum von allen ausgerechnet du?«
Althea gab keine Antwort. Zorn und Schmerz raubten ihr die Stimme. Statt dessen schob sie bebend eine Hand auf die Brust des Alten und fühlte besorgt, ob sein Herz schlug.
»Er lebt«, sagte ich und taumelte einen Schritt auf sie zu. Jeder Teil meines Körpers schmerzte. Meine Haut war aufgerissen und verbrannt, meine Lippe blutig und geschwollen. Die Armbrust zitterte so stark in meinen Händen, daß es unmöglich schien, ein Ziel damit zu treffen.
Althea zog eilig die Hand zurück.
»Du hast ihn Vater genannt«, brachte ich heiser hervor. »Weil er ein Geistlicher ist oder weil er wirklich –«
Ihre Stimme, die soviel lebendiger klang als meine eigene, schnitt mir das Wort ab. »Ich bin seine Tochter, seine leibliche Tochter«, sagte sie, und es war, als triumphiere sie angesichts meiner Ahnungslosigkeit. »Und ich war auch sein Werkzeug. Das ist es doch, was du zu wissen begehrst – mehr noch als meinen Körper in all den Nächten, mehr noch als meine Zunge, meine Lippen, meine Finger. Du willst es endlich wissen, nicht wahr? Oh, Robert, du bist so erbärmlich.«
»Du warst die ganze Zeit über hier. Du hast die drei Kinder ermordet. Und der Beutel unter meinem Bett, auch das warst du, in jener Nacht, als ich dich zu sehen glaubte.« Ich hörte mir selbst beim Sprechen zu, als sei ich ein anderer, der ohne mein Zutun Worte bildete, langsam und schwerfällig wie Figuren aus trockenem Lehm.
Sie spie mir ein bitteres Lachen entgegen. »Der Beutel – lieber Himmel, Robert, das war nichts als eine Kleinigkeit, um dich zu erschrecken, um deine Unsicherheit und Zweifel an dir selbst zu schüren. Das wahre Gift aber, das deinen Geist verwirrte und dir selbst am Tag böse Träume bereitet, trägst du schon viel länger bei dir. Die Liebe hat dich blind gemacht.«
Meine Gedanken überschlugen sich. Plötzlich begriff ich, was sie meinte. Ich wechselte die Armbrust in die andere Hand und fuhr mit der Rechten hinauf zum linken Oberarm. Durch den zerfetzten Stoff meines Wamses packte ich die Wölbung der getrockneten Hasenpfote und riß sie herunter.
Althea triumphierte. »Sie ist getränkt mit Rosenblut. Es verwirrt die Sinne. Man riecht es nicht, und doch dringt es in dein Inneres. Noch ein, zwei Wochen, und du hättest endgültig den Verstand verloren.«
Ich schleuderte die Pfote angewidert von mir. »Aber warum das alles?« fragte ich, obschon ich es längst ahnte.
Althea blickte auf die zitternde Spitze meiner Armbrust, dann sah sie mir in die Augen. »Vater traf meine Mutter während seiner Reisen im Orient. Sie verfiel ihm, und er zeugte mit ihr eine Tochter. Als er nach einigen Jahren weiterziehen wollte, verhinderte die Familie meiner Mutter, daß sie mit ihm ging. Auch ich sollte bei ihnen bleiben, doch Vater raubte mich aus den Händen meiner Verwandten und nahm mich mit zurück in seine Heimat. Hier wuchs ich auf und verdingte mich beim Herzog als Astrologin. Heinrich war mein mit Haut und Haaren. Ebenso wie du selbst.«
»Und all das nur, um mich nach Hameln zu locken?« fragte ich mit schwerer Zunge.
»Dich oder einen anderen«, erwiderte sie. »Doch du erzähltest mir, was mit deiner Familie geschah, und du bist hier zu Hause. Schließlich wurde mir klar, daß keiner der Braunschweiger Ritter so geeignet war wie du. Keiner hätte so leichtfertig an sich gezweifelt und den Mord an den Kindern für sich selbst akzeptiert. Du warst die natürliche Wahl.«
Lieber wäre es mir gewesen, ich hätte die Wahrheit nie erfahren, wäre weiterhin liebestoll und blind durchs Leben getaumelt. So aber gab es nur einen Weg, die erlittene Schmach zu schmälern.
»Ich werde dich töten«, sagte ich leise.
Das Flackern des Feuers verbarg ihre wahren Gefühle, und doch glaubte ich, für einen Moment Furcht in ihren Zügen zu entdecken. Sie blickte auf die verwüstete Alraunenzucht und begriff endgültig, daß das Werk ihres Vaters zerstört war. Ihr Leben war es längst.
»Hast du den Mut
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