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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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verstimmte mich ein wenig. »Ihr treibt Eure Scherze mit mir, Herr Dante.«
    »Weshalb sollte ich? Ihr seid ein Ritter des Herzogs, und einen besseren Verbündeten mag man sich an einem Ort wie diesem nicht wünschen.«
    Ich schüttelte unwirsch den Kopf. »Verratet mir lieber, was Euch an diesen Ort verschlug.«.
    Maria brachte mein Bier, und ich gab mir alle Mühe, so gleichgültig wie nur möglich zu erscheinen. Dante bemerkte es sofort und schien sich ein Lachen zu verkneifen. Dann, nachdem das Mädchen fort war, sagte er vage: »Ich bin hier, um im Rahmen meiner Studien einige Forschungen zu betreiben. Und Ihr selbst?«
    Ich zögerte einen Augenblick und überlegte, ob es ratsam sei, ihm die Wahrheit zu sagen. Doch bei irgendwem mußte ich mit meinen Fragen beginnen, und da war Dante so gut wie jeder andere. Zumal er nicht von hier war und ihm Dinge auffallen mochten, die Einheimischen entgingen.
    »Wie schon erwähnt, bin ich im Auftrag des Herzogs von Braunschweig hier«, begann ich. »Meinem Herrn kam ein Gerücht zu Ohren, daß in dieser Stadt vor drei Monaten, am 26. Tag des sechsten Monats, eine große Anzahl Kinder spurlos verschwunden sei.«
    »Einhundertundddreißig«, sagte Dante.
    »Ihr wißt davon?« fragte ich verblüfft.
    »Die Gerüchte sind nicht nur bis an Euren Hof gedrungen. Doch sprecht erst zu Ende, dann werde ich mich erklären.«
    Trotz aller Verwunderung fuhr ich fort: »Nun, man spricht wirklich von hundertdreißig Kindern, die sich an einem einzigen Tag schier in Luft auflösten. Und mein bisheriger Weg durch die Stadt scheint das Gerücht zu bestätigen. Ich sah nicht ein einziges Kind in Hameln.«
    »Und Euer Herzog sandte Euch hierher, um herauszufinden, was mit diesen Mädchen und Jungen geschah?«
    »Allerdings«, entgegnete ich nicht ohne Stolz, »was mit ihnen geschah, und warum niemand eine Meldung darüber machte.« Denn so war es in der Tat: Nicht einmal der Graf von Schwalenberg als Statthalter des Herzogs hatte eine entsprechende Botschaft gesandt – worüber ich mich freilich nach der Begegnung mit ihm kaum noch wunderte.
    Dante nahm einen Schluck aus seinem Krug, ich tat es ihm gleich. »Dann wißt Ihr auch, was man sich über die Kinder erzählt?« fragte er.
    »Ihr meint diesen Unfug über den Spielmann?«
    »Kein Spielmann«, verbesserte er mich. »Ein Rattenfänger. Die Hamelner Stadtväter beauftragten ihn, sie von der Rattenseuche zu befreien, welche die Stadt vor geraumer Zeit befiel. Mit seinem Flötenspiel führte er die Tiere in den Fluß, wo sie ertranken. Doch als er zurückkehrte, um seinen Lohn zu verlangen, jagten die Hamelner ihn davon. Im Schutz der Nacht aber kam er ein zweites Mal zurück, und diesmal lockte er die Kinder mit seinem Spiel aus den Häusern und führte sie durch einen Schlund im Kopfelberg, östlich der Stadt, direkt hinab in den Schlund der Hölle.«
    Ich konnte mich eines Lachens nicht erwehren. »Kein Wunder, daß man ihm die Bezahlung verweigerte. Fielen Euch nicht die zahllosen Ratten auf, die sich noch immer in den Gassen himmeln? Er kann seine Arbeit schwerlich gutgemacht haben.«
    Dante blieb zu meinem Erstaunen völlig ernst. »Ich bin nicht sicher, was von der Sache zu halten ist.«
    »Aber, guter Mann, wie könnt Ihr eine Mär wie diese ernsthaft in Betracht ziehen? Ich meine, das Volk ist schneller mit solchen Schauergeschichten zur Hand als mancher Räuber mit dem Messer.«
    »Sicher. Doch bedenkt, es ist kaum drei Monde her, daß die Kinder verschwanden. Weshalb sollte man in so kurzer Zeit ein solches Ammenmärchen erfinden? Weshalb sagt einem keiner die Wahrheit, falls es eine gibt?«
    »Ihr habt es versucht?«
    »Natürlich. Deshalb bin ich hier.«
    Meine Verwirrung mehrte sich mit jedem seiner Worte. »Ich fürchte, Herr Dante, Ihr müßt mir nun doch ein wenig mehr über Euch selbst berichten.«
    Dante lachte. »Ich bin nur ein Student, nicht mehr.«
    »Ihr scheut Euch, mir die Wahrheit zu sagen.«
    »Weil Ihr mich dann unzweifelhaft für verrückt halten werdet.«
    »So aber muß ich annehmen, daß Ihr in die Sache verstrickt seid.«
    »Wollt Ihr mir drohen, Meister Robert?«
    »Ich will nur die Wahrheit hören, sonst nichts.«
    »Um jeden Preis?«
    »Sorgt Euch nicht um Euer Ansehen.«
    Dante seufzte, strich mit einer blitzschnellen Bewegung eine Haarsträhne aus seiner hohen Stirn und sagte dann: »Ihr habt gefragt, und ich will Euch die Antwort geben, die Ihr nicht hören wollt: Ich bin ein Reisender auf den Spuren

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