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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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blickte hinein. Zäher, brauner Schleim quoll mir daraus entgegen, eine ekelerregende Füllung, deren Geruch allein mich würgen ließ. Keuchend erbrach ich mich in die Fleischschüssel und fegte zugleich die beiden anderen vom Tisch. Scheppernd prallten sie auf, ihr Inhalt ergoß sich über den Boden. Es war Blut, das aus den Äpfeln quoll, ohne Zweifel. Dunkelbraunes, eingedicktes Blut.
    War das der Irrsinn? Waren dies seine Boten? Geräusche, die einen quälen, und Blut, das aus Äpfeln fließt?
    Ich schrie auf, voller Verzweiflung und Wut, sprang von der Bank und stieß dabei den Tisch um. Der Lärm mußte bis hinaus auf die Gasse zu hören gewesen sein. Maria eilte aufgeregt herbei, doch ich bemerkte sie erst, als sie meinen Arm packte.
    »Herr, wie ist Euch?« rief sie, und sogleich standen Tränen in ihren Augen.
    Tobend trat ich gegen eine der Schüsseln, daß sie bis zur anderen Seite der Schankstube flog und beim Aufprall an der Wand zerbrach. Ich griff grob nach Maria, zerrte sie zu Boden und ging neben ihr in die Knie. Wie von tausend Teufeln besessen packte ich eine Handvoll der Apfelstücke und hielt sie ihr vor das schöne Gesicht. Dann preßte ich die Faust zusammen. Ströme von Blut quollen zwischen den Fingern hervor.
    »Sag mir, daß auch du es siehst!« schrie ich verzweifelt. »Sag mir, daß ich nicht wahnsinnig bin! Das ist Blut, oder?«
    Sie senkte den Blick. Einen Augenblick lang glaubte ich, sie würde es abstreiten, doch das tat sie nicht. Statt dessen flüsterte sie leise:
    »Ja, Herr, ich sehe es.«
    »Du siehst es?« rief ich beinahe erstaunt. Wie konnte sie es sehen, wenn es nur meiner Einbildung entsprang?
    »Ja, Herr«, wiederholte sie schüchtern. »Bitte, verzeiht mir.«
    Ihre Worte trafen mich unerwartet. »Dir verzeihen, Maria? Warum?«
    Sie riß ihren Arm los, den ich noch immer umklammert hatte, und taumelte auf Knien zwei Schritte zurück. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Sie weinte bitterlich. »Es ist mein Blut, Herr«, brachte sie schluchzend hervor. »Ich selbst habe es in die Äpfel gegeben.«
    »Dein Blut?« Ich begriff noch immer nicht.
    »Ein Zauber«, erklärte sie und schüttelte zugleich den Kopf, daß ihre langen Haare in alle Richtungen wirbelten. »Nur ein Zauber. Um Eure Liebe zu gewinnen, Herr. Die Frau sammelt das Blut, das ihrem Körper entfließt, und gibt es dem Mann ins Essen. Der größte aller Liebeszauber, so heißt es.«
    Ein bitterer Sud schoß erneut aus meinem Magen hinauf in den Mund. Noch einmal spie ich stinkendes Sekret auf den Boden. Wie von Sinnen stemmte ich mich auf die Beine und stützte mich kraftlos auf eine Tischkante.
    »Verzeiht mir«, heulte Maria noch einmal, doch ich hörte es kaum. Ohne sie weiter zu beachten, blind vor Ekel und Abscheu, torkelte ich an ihr vorüber zur Treppe, die Stufen hinauf und in meine Kammer. Ich stürzte mich auf die Wasserschüssel, spülte den Mund aus und spuckte das Wasser aus dem Fenster, immer und immer wieder, bis die Schüssel leer war. Schließlich sank ich entkräftet aufs Bett. Mein Körper glühte vor Hitze, doch der Schweiß, der meine Kleidung tränkte, war eisig. Fieber! fuhr es mir durch den Kopf. Ich habe Fieber.
    Ich lag da und versank in Träumen voller Unheil. Gelegentlich riß mich das Ticken des Bronzeschädels aus dem Schlaf, die Laute stachen wie Nadeln tief in mein Hirn. Mir war, als schlüge selbst mein Herz im furchtbaren Takt, den der Schädel ihm vorgab. Als richte sich meine ganze Existenz nach seinem Maß.
    Einmal erwachte ich und tastete in der Dunkelheit nach Altheas Hasenpfote an meinem Oberarm. Ja, sie war noch da. Ein Geschenk, in Liebe gegeben. Es würde mich vor dem Schlimmsten bewahren.
    Doch es schützte mich nicht vor weiterem Grauen, das sich im Schlaf in meinen Schädel schlich, Bilder von der Leiche des Baumeisters und viele bange Fragen: Wie konnte das Blut an meine Hand gelangen, wenn ich nicht wirklich in seiner Kammer gewesen war? Und wer hatte ihn ermordet, wenn ich der einzige war, der das Zimmer betreten hatte? Wandelte ich im Schlaf? Mordete ich im Schlaf?
    Ich spürte, wie das Fieber meinen ganzen Körper erhitzte. Meine Stirn und meine Glieder glühten. Trotzdem raffte ich mich auf, schleppte mich hinab in die nächtliche Küche und fand nach einigem Suchen eine Schale voll Mehl. Damit stieg ich wieder hinauf in mein Zimmer und bestreute zwischen Tür und Bett den Boden mit einer hauchdünnen Schicht. Am Morgen würde ich an möglichen Fußabdrücken

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