Der Rattenzauber
erkennen können, ob ich durchs Zimmer gewandert war, ohne dabei zu erwachen.
Die bescheidene Vorsichtsmaßnahme schenkte mir ein wenig Ruhe, und ich schlief von neuem ein. Einmal war mir, als weckte mich eine seltsame Erscheinung vor meinem Bett. Es war der Tod, in Gestalt einer schwarzverschleierten Frau. Sie stand vollkommen reglos da, gleich neben mir, und blickte auf mich herab. Ihr Gesicht lag hinter dem dunklen Schleier verborgen. Es heißt, der Tod komme nachts, um einen zu besuchen, im Schlaf, wenn man ihm so nah ist wie niemals sonst. Er starrt einen aus seinen schwarzen Augen an, stundenlang, doch wenn man erwacht, dann ist er fort. So war es auch in jener Nacht.
Die Morgendämmerung brachte mich ein wenig zur Besinnung, obgleich ich spürte, daß das Fieber noch in jedem Winkel meines Körpers wütete. Man mag sich mein Entsetzen vorstellen, als mein erster Blick gleich auf Fußspuren im Mehl fiel. Sie führten von meinem Bett zur Tür und wieder zurück. Die Tür war geöffnet worden, denn auch ihr Schwung zeichnete sich in der weißen Schicht ab. Das bedeutete, ich war draußen gewesen, zumindest auf dem Flur.
Dann aber erinnerte ich mich an die Erscheinung. Was, wenn wirklich eine Frau in der Kammer gewesen war? Konnten es nicht ihre Fußabdrücke sein? Ich schenkte dem Hämmern in meinem Kopf keine Beachtung und bückte mich, um die Spuren einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Ebenso gut wie vom Bett zur Tür und zurück konnten sie in umgekehrter Reihenfolge entstanden sein – jemand war hereingekommen, an mein Bett getreten und schließlich wieder fortgegangen. Das hauchdünne Mehl war an jenen Stellen auseinandergeweht, wo die Füße aufgetreten waren, so daß Länge und Breite des Abdrucks nicht mehr klar zu erkennen waren. Es hätten zarte Frauenfüße, aber auch meine eigenen gewesen sein können. Was mich allerdings in Erstaunen versetzte: Zehen und Ballen waren noch zu erkennen. Wäre aber eine nächtliche Besucherin barfuß gekommen? Vielleicht – wenn sie etwas ganz Bestimmtes im Sinn gehabt hätte. Maria war in diesem Fall eine naheliegende Verdächtige. Doch hätte sie das gewagt, nach dem Vorfall vom Abend? Und außerdem: Wäre sie verschleiert, in einem schwarzen Kleid über meine Schwelle getreten? Nein, Maria konnte es nicht gewesen sein. Und der einzige, der in dieser Kammer barfuß lief, war ich. Es gab nur diese eine Möglichkeit: Das Fieber hatte mir die Vision einer schwarzen Frau vorgekaukelt. Und wer mochte mir solche Wahnbilder verübeln, nachdem in dieser Sache immer mehr Weibsbilder an Bedeutung gewannen: Julia, Juliane, Margarete Gruelhot, Maria, Liutbirg, sogar die knöcherne Frau des Hufschmieds, Imma. Was aber die Fußabdrücke anging, so war ich in der Tat selbst aus dem Zimmer geschritten. Doch war ich deshalb ein Mörder? Der Gedanke schien so unbegreiflich, so fern aller Wirklichkeit, daß ich mich nicht damit befassen mochte. Natürlich hatte ich den Baumeister nicht ermordet.
Trotz meiner schlechten Verfassung beschloß ich, mich noch einmal zum Klarissenkloster zu begeben. Das Tageslicht half mir, meine Furcht im Zaum zu halten. Ich schwitzte, mir war heiß, jeder Blick schien mir wie durch Nebel verschleiert. Und doch gelang es mir, aufrecht auf die Straße zu treten und mich auf den Weg zum Kloster zu machen.
Am Ende einer Gasse entdeckte ich ein Kind. Der kleine, humpelnde Junge fiel mir wieder ein, doch dies hier war ein Mädchen mit schmutzigem blondem Haar. Die Kleine begann, kreischend zu lachen, als sie mich sah. Schaum stand vor ihrem Mund, sie wies mit der rechten Hand in meine Richtung. Dann fuhr sie plötzlich herum und rannte fort. Sie hatte einen verwirrten Geist, ohne Zweifel, doch sie war auch ungemein flink, und schon nach wenigen Schritten gab ich die Verfolgung auf. In meinen Ohren toste ein Sturm, und mein Kopf fühlte sich an, als müßte er platzen. Der kühle Regen tat wohl auf meiner fiebrigen Haut, und doch wußte ich, daß die Nässe meine Krankheit nur noch schlimmer machte. Ich verschwendete keine Zeit mehr darauf, im Labyrinth der engen Gassen nach dem Kind zu suchen. Nachdenklich eilte ich auf dem schnellsten Weg zum Kloster.
Zu meinem Erstaunen ließ man mich widerspruchslos ein und führte mich zur Äbtissin. Waldrada empfing mich im selben Raum wie bei meinem ersten Besuch, und auch an ihren schwarzen Gewändern hatte sich nichts geändert. Ihr faltiges Gesicht, umrahmt von Kleid und Haube, schien zu leuchten wie eine
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