Der Rattenzauber
Münze auf einem dunklen Samtkissen. Mir war, als wäre seit meiner letzten Audienz kaum Zeit verflossen.
»Ich weiß, was Ihr wünscht«, sprach sie, bevor ich etwas sagen konnte. Ihre Stimme klang so trocken und brüchig, daß ich fürchtete, die Worte könnten auf ihrem Weg durch den Raum zu Staub zerfallen. »Ihr wißt, ich kann es Euch nicht gestatten.«
»Ich muß noch einmal mit Schwester Julia sprechen«, entgegnete ich bestimmt.
»Die Schwester hat ein Gelübde abgelegt. Ich habe sie bereits einmal vorzeitig davon entbunden, um Euch behilflich zu sein. Diesmal wird es keine Ausnahme geben.«
»Ihr versteht mich nicht«, widersprach ich. »Ich muß mit ihr reden.«
Die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich zu finsteren Schluchten. »Falsch, Ritter, Ihr versteht mich nicht. Schwester Julia hat ihr Schweigen vor Gott geschworen. Vor Gott! Niemand darf sich dem entgegenstellen.«
»Ich –« begann ich, doch im selben Augenblick überkam mich ein solches Schwindelgefühl, daß ich beinahe zusammenbrach. Ich taumelte einen Schritt vorwärts und suchte Halt an der Kante von Waldradas Tisch.
»Ihr seid krank«, stellte sie ohne jedes Mitgefühl fest. »Ihr solltet etwas dagegen tun.«
Schwerfällig gelang es mir, den Kopf zu schütteln. Ich versuchte zu sprechen, doch kein Wort drang über meine Lippen. Der Schwindel machte keinerlei Anstalten, sich zu legen. Die Kammer schien sich um mich zu drehen, Waldradas Gesicht wurde immer mehr zu einem weißen Fleck in der Dunkelheit. Es schwebte vor mir wie ein Gespenst, ein Irrlicht in stockfinsterer Nacht.
Ich hörte, wie Waldrada einen Namen rief, dann ergriffen mich von hinten sanfte Hände und führten mich aus dem Raum. Widerstandslos ließ ich es geschehen, unfähig, mich zu wehren oder nur einen Einwand zu erheben. Eine Weile lang wurde mir gänzlich schwarz vor Augen, und als sich meine Sicht wieder klärte, fand ich mich in einer düsteren Kammer ohne Fenster, hingestreckt auf eine Liege. Ein Kerker! schrie es in mir, doch ein zweiter Blick zerstörte die Illusion meiner Gefangenschaft. Die Tür der Kammer stand weit offen.
Im selben Moment betraten zwei Klarissenschwestern in weißer Tracht den Raum. Die eine bot mir wortlos eine Schale mit dampfendem Kräutersud an. Ich trank einen Schluck und sagte dann: »Ich will aufstehen. Ich fühle mich wohl.« Das war eine Lüge.
Die jüngere der beiden Schwestern schüttelte entschieden den Kopf, sagte aber kein Wort. Das Gelübde verbot ihnen zu sprechen, selbst mit einem Kranken. Es war gespenstisch, wie sie in ihren langen weißen Gewändern dastanden und mich stumm betrachteten. Ihr Anblick erinnerte mich allzu sehr an die Todesvision der vergangenen Nacht. Die verschleierte Frau hatte mich ebenso angesehen – schweigend, reglos, unheimlich.
»Ich muß jetzt gehen«, sagte ich und machte Anstalten, mich von der Liege zu erheben.
Eine schmale, helle Hand legte sich geschwind auf meine Schulter und drückte mich sanft zurück. Es war nicht mehr als eine Geste, ihre Kraft hätte kaum ausgereicht, mich festzuhalten. Und doch hielt ich inne und sah die Schwester an. Sie war nicht hübsch, besaß aber wunderschöne, ungemein blaue Augen. Die Tatsache, daß sie nahezu das einzige waren, was unter der weiten Schwesternkluft von der jungen Frau zu erkennen war, vervielfachte ihre betörende Wirkung.
»Ich möchte Schwester Julia sehen«, bat ich.
Ein drittes Kopfschütteln. Kein Wort.
Da konnte ich ihre stummen Blicke nicht länger ertragen, achtete nicht weiter auf ihren stillen Protest und stand auf. Meine Beine waren schwach, mein ganzer Körper schien zu beben, doch es gelang mir, mich auf den Füßen zu halten. Ich trug noch all meine Kleidung am Körper, so daß es nichts gab, das mich hier länger hätte halten können. Eilig schritt ich an den beiden Schwestern vorüber und trat hinaus auf einen steinernen Flur. Die Kammer, in der ich gelegen hatte, befand sich unweit des Hauptportals.
Ehe ich das Gebäude verließ, warf ich noch einen Blick zurück zu den beiden Schwestern. Sie standen kerzengerade nebeneinander, die gefalteten Hände in den weiten Ärmeln ihrer Gewänder verborgen. Zwei blasse Geister, hinter denen die Mauern im Schatten ertranken. Schweigend und reglos starrten sie mir nach.
Ich löste mich von ihrem schaurigen Anblick und trat hinaus ins Freie. Doch als ich das große Tor durchqueren wollte, spürte ich den Blick eines weiteren Augenpaares im Rücken. Julia, durchzuckte es
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