Der Rattenzauber
zurückgeblieben. Ich zweifelte nicht, daß auch er sich binnen Stunden schließen würde. Die Schatten beanspruchten für sich, was ihres war. Mit bebenden Knien sprang ich zum Fenster und stieß die Läden auf. Die trübe Abenddämmerung floß herein, konnte allerdings nur den unteren Teil der Kammer erhellen. Decke und Wände erschienen dadurch nur noch dunkler.
Ich hob noch einmal die schwarzgefärbte Hand vor Augen und zerrieb den Belag zwischen Daumen und Zeigefinger. Er fühlte sich fettig an und hinterließ abscheuliche Schmierspuren. Unter aller Überwindung hielt ich mir die Finger an die Nase und roch daran. Es war kein unbekannter Geruch, keineswegs; es roch nach Feuer, nach Rauch und nach den verkohlten Überresten des Baumeisters. Es war Ruß. Nichts als Ruß. Ich bebte vor Erleichterung.
Maria mußte Boden und Einrichtung des Zimmers während meiner Abwesenheit gesäubert haben. Doch eine Reinigung der oberen Wände und des Kruzifix hatte sie wohl nicht für nötig erachtet. Mir war ob dieser Entdeckung nicht nach Jubel zumute. Ich spürte, wie die Geheimnisse dieser Stadt meinen Geist zermürbten. Ich sah Dinge, wo keine waren, hörte Laute, die keiner sonst vernahm.
Das Ticken des Bronzekopfes. Es schien mir nun laut wie Donnergrollen. Unerträglich.
Langsam, immer noch ein wenig zögernd, ging ich auf das Kruzifix zu, das achtlos am Boden lag. Ich bückte mich, hob es auf. Betrachtete es eingehend. Der Ruß hatte sich in die Öffnungen und Ritzen des holzgeschnitzten Heilands gelegt. Seine Augenhöhlen waren schwarze Flecken, ebenso der Mund. Es sah aus, als säße ein Totenschädel auf seinen knochigen Schultern.
Ich ging mit dem Kreuz zum Tisch und tauchte es in die Wasserschüssel. Der Ruß löste sich nicht. Fettig klebte er am Holz wie eine zweite Haut, wie gestaltgewordener Schatten.
Meine Finger zitterten, als ich das Kruzifix, beschmutzt wie es war, auf dem Tisch ablegte. Dann ergriff ich mit beiden Händen den Bronzekopf. Er machte nun keinerlei Anstalten mehr, zu mir zu sprechen. Nur das Ticken blieb. Ich hielt ihn ganz nah ans Ohr, lauschte in sein Inneres. Tief in ihm vernahm ich ein leises Surren und Schaben, als bewege sich etwas in seinem Bronzehirn. Etwas, das darin eingeschlossen war. Die Vorstellung eines großen, schwarzen Käfers, der mit dürren Fühlern am Gehäuse seiner Metallzelle kratzte, stieß sich tief in mein Denken. Angewidert stellte ich den Kopf neben Kreuz und Schüssel auf den Tisch, trat dann hastig einen Schritt zurück.
Das Ticken ging weiter. Immer weiter. Das Geräusch brachte mich um den Verstand. Ich preßte meine Hände auf die Ohren, um den Laut auszusperren. Zwecklos. Er war längst auch in meinem eigenen Schädel.
Ich tat das einzige, was mir in dieser Lage richtig erschien. Ich floh. Raus aus der Kammer, hinaus auf den Flur, hinunter in die Gaststube.
Niemand war da, nur Maria. Sie sah mich kommen und machte einen Schritt zur Seite. Sie hatte mehrere Schüsseln mit Fleisch und Gemüse auf einem der Tische aufgetragen.
»Herr«, sagte sie, »soeben wollte ich Euch rufen.«
Mir war nicht nach Essen zumute, und auch nicht nach Maria. Ich wollte Ruhe, endlich Ruhe. Und doch brachte ich es nicht über mich, die Speisen, die Maria mit sichtbarer Mühe zusammengestellt hatte, abzulehnen. Selbst dazu war ich zu schwach.
So nahm ich Platz, dankte ihr flüchtig und begann, zu essen. Eine Weile lang sah sie mir schweigend zu und trat dabei nervös von einem Fuß auf den anderen. Vielleicht lag ihr ein neuer Liebesschwur auf den Lippen, daher war ich froh, als sie sich schließlich wortlos umdrehte und in der Küche verschwand.
In einer Schüssel waren Erbsen aufgehäuft, in einer anderen gekochte Apfelstücke. In der dritten fand ich wunderbar zartes Fleisch, hell und schon zerkleinert, so daß ich es mit dem großen Holzlöffel essen konnte. Das Mädchen meinte es gut mit mir.
Ich bemerkte den seltsamen Geschmack im Mund, als ich bereits mehr als die Hälfte von allem gegessen hatte. Es war, als sei zwischen die Erbsen ein Stück Eisen geraten, doch als ich tastend mit der Zunge durch den Mund fuhr, fand ich nichts dergleichen. Auch das Fleisch war stark durchgebraten, unmöglich, daß es noch nach Blut schmeckte. Doch der eigenartige Geschmack blieb. Ich begann nun, aus jeder Schüssel einzeln zu kosten, um die Ursache herauszufinden. Die Erbsen waren vorzüglich, ebenso das Fleisch.
Doch dann biß ich eines der Apfelstücke zur Hälfte durch und
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