Der Rauchsalon
es
herauszufinden.
»Ich will Ihre Gutmütigkeit wirklich
nicht ausnutzen.« Trotzdem rollte Miss Smith ihren Kopfschutz zu einer
ordentlichen Mütze zusammen und begann, sich an den Knebelknöpfen ihrer Jacke
zu schaffen zu machen. »Ich ziehe bloß eben die Jacke aus, wenn es Sie nicht
stört. Sonst nutzt sie mir gar nichts, wenn ich wieder nach draußen muß. Früher
hat mir die Kälte nie viel ausgemacht, aber jetzt geht sie mir durch und durch.
Deshalb wickele ich mich auch in alles, was ich finden kann. Was soll’s, wenn
ich schon eine Lumpensammlerin bin, kann ich auch wie eine aussehen, nicht
wahr?«
»Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Sarah
gelang es, Miss Smith aus den obersten Schichten herauszuschälen und sie in die
Bibliothek zu führen, wo Charles bereits das Feuer angezündet hatte und
Plätzchen und Sherry für das abendliche Beisammensein herausgestellt hatte.
»Was für ein wunderschöner Raum!« Miss
Smith zupfte ihre Kleidung auf eine sehr weibliche Art zurecht und nahm dankend
das Glas Sherry an, das Sarah ihr einschenkte. »Vielen Dank, Mrs. Kelling.
Einen derart königlichen Empfang hatte ich gar nicht erwartet, nachdem mich
alle anderen so haben abfahren lassen. Ich hätte es natürlich besser wissen
müssen, man läuft eben nicht zu einem Polizisten, wie ich es getan habe, wenn
man aussieht wie ein Stadtstreicher und zwei Tragetaschen mit Abfall dabeihat.
Aber so bin ich nun mal. Ich denke nie daran, wie ich aussehe, bis es dann zu
spät ist.«
»Meine ganze Familie ist genauso«,
stimmte Sarah zu, »keiner schert sich einen Deut darum, warum sollten Sie es
also? Aber erzählen Sie mir doch bitte, warum — «
»Warum ich so einfach hier hereinplatze?«
Der Sherry wirkte sich offenbar positiv auf Miss Smiths Selbstvertrauen aus.
»Es klingt sicher verrückt, aber vor kurzem habe ich eine Zeitung in einem
Abfallkorb gefunden. Und darin habe ich direkt auf der ersten Seite Ihren Namen
und ein Foto von Ihnen gesehen, und Ihre genaue Adresse und alles stand auch
dabei. Das war wie ein Omen, so eine Art Erleuchtung, wissen Sie, und da ich,
wie ich schon sagte, zu den Menschen gehöre, die erst handeln und dann
nachdenken, habe ich meinen Kram gepackt und mich gleich hergeschleppt. Ich bin
sicher, dieser Butler von Ihnen wollte mich vorhin nicht hereinlassen, und ich
kann es ihm nicht mal verdenken. Aber ich finde trotzdem, daß wir alle unsere
Bürgerpflicht zu erfüllen haben, finden Sie nicht auch?«
»Natürlich«, sagte Sarah, immer noch
etwas verwirrt.
»Na sehen Sie. Ich wollte nicht, daß
jemand mit so einer schrecklichen Sache ungeschoren davonkommt, aber der
Polizist hat mich einfach abgewimmelt, und die Reporter haben gedacht, ich wäre
bloß auf Geld aus, und haben mir geraten, nach Hause zu gehen und meinen Rausch
auszuschlafen, als wenn ich nichts weiter als irgend so eine alte Säuferin
wäre, was ich niemals wäre, selbst wenn ich es mir leisten könnte, was ich
natürlich nicht kann. Obwohl der Sherry hier wirklich köstlich ist«, fügte sie
höflich hinzu.
»Als Seniorin kann ich verbilligt mit
der U-Bahn fahren; so stand ich auch unten auf dem Bahnsteig und wartete auf
die Bahn. Da am Haymarket findet man immer ziemlich viel, wissen Sie, wegen der
Touristen und so. Ein paar Leute stecken mir auch mal hin und wieder ein paar
Münzen zu, und wenn Sie glauben, ich wäre zu stolz, sie anzunehmen, dann haben
Sie sich geirrt. Diesen Unsinn kann ich mir wirklich nicht mehr leisten.
Aber wie ich bereits sagte, ich stand
an den Gleisen, und dieser stämmige ältere Mann im dunkelblauen Mantel stand
direkt neben mir. Er hat mich angewidert angesehen und ist zurückgezuckt, als
hätte er Angst, ich hätte Läuse oder so, was natürlich nicht stimmt, falls Sie
das auch annehmen. Natürlich habe ich es gemerkt. Ich mußte zwar meinen Stolz
begraben, seit ich versuche, von meiner Rente zu leben, aber Gefühle habe ich
trotzdem noch. Dann kam die Bahn, und alle haben sich nach vorn gedrängt, Sie
wissen schon, was ich meine. Der Bahnsteig war völlig überfüllt, wie üblich um
diese Zeit. Ich stand also immer noch diesem dicken Mann mit Mantel direkt
gegenüber; und ich habe ihm einen Blick zugeworfen, der sagen sollte: Guck nur
ruhig, du bist auch nicht besser als ich, du alter Ziegenbock, wie Dreck lass’
ich mich noch lange nicht behandeln. Und dann habe ich ganz deutlich zwei Hände
gesehen, die den Mann auf die Gleise stießen. Genau vor die einfahrende
U-Bahn.«
»Nein!« rief
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