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Der Rauchsalon

Der Rauchsalon

Titel: Der Rauchsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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Sarah. »Das glaube ich
nicht!«
    »Sehen Sie«, sagte Miss Smith, »ich
habe auch nicht erwartet, daß Sie mir mehr glauben als die anderen. Aber eins
sage ich Ihnen, Mrs. Kelling, ich habe diesen Mr. Quiffen genau vor mir
gesehen, und ich weiß, daß er es war, denn im Globe und im Herald waren Bilder von ihm, und ich habe sie herausgerissen und habe sie bei mir,
hier in dieser Tasche. Ein Portemonnaie habe ich zwar nicht, weil es bloß eine
Einladung für Diebe wäre, selbst wenn man in Lumpen wie ich herumläuft. Und
sehen kann ich noch sehr gut für mein Alter, und bei so was irrt man sich
nicht. Und ich habe versucht, es dem Fahrdienstleiter zu erklären, und dem
Schaffner auch, und ich — , aber das habe ich Ihnen ja schon alles gesagt. So,
jetzt wo ich Ihnen alles erzählt habe, will ich Sie auch nicht weiter
belästigen. Und vielen Dank dafür, daß Sie mich nicht ausgelacht haben.«
    »Aber ich finde Ihre Geschichte
überhaupt nicht zum Lachen«, sagte Sarah. »Das Schreckliche an der Sache ist,
daß ich Ihnen glaube, weil ich weiß, wie scheußlich Mr. Quiffen sein konnte. Er
hatte eine natürliche Begabung dafür, sich überall Feinde zu machen. Ich kenne
nur zwei Menschen auf der Welt, die ein gutes Wort über ihn gesagt haben, und
das sind so liebe, herzensgute Leutchen, daß sie über niemanden schlecht reden
würden.«
    Miss Smith nickte. »Das wundert mich
nicht. Ständig hat er die gemeinsten Briefe an die Zeitungen geschrieben;
meistens hat er sich über irgendwelche unwichtigen kleinen Fehler beschwert,
die immer mal vorkommen können. Ich habe sie gelesen und mir vorgestellt, wie
die armen Leute wegen der Briefe Probleme mit ihrem Chef bekommen haben, und
mich gefragt, ob dieser Barnwell Augustus Quiffen auch nur die leiseste Ahnung
hatte, was er irgendeinem armen Kerl mit sechs Kindern am Hals damit angetan
hat.«
    »Ich bin sicher, daß er es nicht wußte
und daß es ihn auch nicht weiter gestört hätte, wenn er es gewußt hätte. Wenn
ich geahnt hätte, was er für ein Mensch war, hätte ich mich nie dazu überreden
lassen, ihm ein Zimmer zu vermieten. Aber das muß unter uns bleiben, Miss
Smith. Ich habe es sonst noch zu niemandem gesagt, und eigentlich hätte ich es
auch Ihnen nicht sagen dürfen.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen«,
antwortete die Frau. »Ich habe sowieso niemanden, dem ich es erzählen könnte.
Meine alten Nachbarn besuche ich nicht mehr, weil ich nicht möchte, daß sie
sehen, wie tief ich gesunken bin. Möglicherweise würden sie glauben, daß ich
betteln käme. Und alle, die mich dieser Tage gut genug kennen, um mich zu
grüßen, denken, daß ich bloß eine harmlose kleine Verrückte bin. Glauben Sie,
Mr. Quiffen hätte irgend jemanden soweit zur Verzweiflung getrieben, daß dieser
versucht hätte, ihn auf diese schreckliche Weise loszuwerden?«
    »Ich weiß es nicht. Es ist durchaus
möglich, mehr kann ich auch nicht sagen. Sie haben nicht zufällig die Person
gesehen, die ihn, wie Sie sagen, gestoßen hat?«
    »Alles, was ich beschwören kann, ist,
daß ich ein Paar dunkle Lederhandschuhe und die Ärmel eines dunklen Mantels
gesehen habe. Viel ist das nicht, denn sicher trug die Hälfte aller Männer an
der Haltestelle Lederhandschuhe und dunkle Mäntel. Ich bin mir nicht einmal
sicher, ob es ein Mann war, obwohl die Handschuhe und der Mantel wohl eher zu
einem Mann als zu einer Frau paßten. Das werde ich wohl geglaubt haben, nehme
ich an, weil Männer für gewöhnlich eher zu Gewalttaten neigen als Frauen. Aber
es war ein derartiges Gedränge und Durcheinander, und ich hatte ja genau neben
ihm gestanden und hatte Angst, daß man mich auch noch unter den Zug stoßen
würde, und ich habe versucht zurückzutreten, aber die Leute haben mich immer
weiter nach vorn geschoben. Es war so schrecklich, daß ich nicht mehr klar
denken konnte, sonst hätte ich genügend Verstand gehabt, noch einmal genauer
hinzusehen.«
    »Kein Mensch hätte das in dem Moment
gekonnt! Sie müssen ja furchtbare Angst gehabt haben!«
    »Allerdings. Und ich hoffe, daß ich so
etwas nie wieder mitmachen muß«, stimmte Miss Smith zu. »Aber ein Unfall war es
bestimmt nicht, Mrs. Kelling, und ich bin sicher, daß er auch nicht absichtlich
gesprungen ist, auch wenn die Zeitungen da anderer Meinung sind. Ich meine,
stellen Sie sich den aufgeblasenen alten Burschen doch nur vor, ich weiß, es
ist nicht nett, so von einem Toten zu reden, und ich bin froh, daß meine arme
alte Mutter nicht mehr hören

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